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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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sein Amt niedergelegt und verweigert den Eingriff …«
    Vor einem Jahr wäre darüber überhaupt nicht berichtet worden. Es wäre unterdrückt worden, sogar die Existenz von Julians Bruder wurde nach seinem Tod langsam und systematisch aus allen öffentlichen Unterlagen getilgt. Aber seit den Zwischenfällen hat sich die Situation verändert. In einer Hinsicht hat Raven Recht: Jetzt herrscht Krieg und im Krieg braucht man Symbole.
    »… Krisensitzung der Aufsichtsbehörde von New York … schnelles Urteil … Hinrichtung durch Giftspritze für morgen Vormittag, zehn Uhr, angesetzt …«
    »… manche halten die Maßnahmen für unnötig drastisch … Sturm der Entrüstung gegen die VDFA und die Aufsichtsbehörde …«
    Nun spüre ich gar nichts mehr. Die Wut ist verraucht, genau wie die Schuldgefühle. Ich bin vollkommen betäubt. Julian wird morgen sterben. Ich habe ihm beim Sterben geholfen.
    Das war die ganze Zeit über geplant. Es ist kein Trost, dass er hätte geheilt werden können, höchstwahrscheinlich wäre er dabei auch gestorben. Mein Körper ist kalt, zu Eis gefroren. Mir wird überhaupt nicht mehr warm.
    »… Thomas Finemans offizielle Erklärung …«
    »Die VDFA steht hinter der Entscheidung der Aufsichtsbehörde … Die Vereinigten Staaten befinden sich an einem kritischen Punkt, und wir können jene nicht länger tolerieren, die uns Schaden zufügen wollen … wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen …«
    Die VDFA und die Vereinigten Staaten können es sich nicht länger leisten, Nachsicht walten zu lassen. Die Widerstandsbewegung ist zu stark. Sie wächst – unterirdisch, in Tunneln und Unterschlüpfen, an den dunklen, feuchten Orten, die sie nicht erreichen können.
    Deshalb werden sie in aller Öffentlichkeit, bei Licht, ein blutiges Exempel statuieren, damit wir es sehen.
    Beim Abendessen gelingt es mir, etwas zu essen, und obwohl ich es immer noch nicht fertigbringe, Raven und Tack anzuschauen, merke ich, dass sie das als Zeichen dafür deuten, dass ich nachgegeben habe. Sie sind gezwungen fröhlich, zu laut, erzählen den anderen vier, fünf Widerständlern, die sich um den Tisch versammelt haben, Witze und Geschichten. Die Radiostimme dringt immer noch herein, sickert durch die Wände wie das Zischen einer Schlange.
    »… keine weitere Erklärung von Julian oder Thomas Fineman …«
    Nach dem Abendessen gehe ich zur Außentoilette – einem kleinen Schuppen fünfzehn Meter vom Hauptgebäude entfernt, jenseits eines kurzen Stücks rissigen Asphalts. Es ist das erste Mal, dass ich mich bewusst draußen umsehe. Wir sind in einer Art alter Lagerhalle. Sie befindet sich am Ende einer langen, gewundenen Auffahrt aus Beton, die an beiden Seiten von Wald umgeben ist. Im Norden sehe ich das glitzernde Leuchten städtischer Lichter. Das muss White Plains sein. Und im Süden, vor dem hellrosa Abendhimmel, kann ich gerade so einen verschwommenen Leuchtkranz wahrnehmen, die künstliche Lichterkrone New Yorks. Es muss ungefähr sieben Uhr sein und daher noch zu früh für die Ausgangs- oder die Stromsperre. Irgendwo zwischen diesen Lichtern ist Julian, in jenem verschwommenen Fleck aus Menschen und Häusern. Ich frage mich, ob er wohl Angst hat. Ich frage mich, ob er wohl an mich denkt.
    Der Wind ist kalt, bringt aber den Geruch nach tauender Erde und neuem Wachstum mit sich: den Geruch nach Frühling. Ich muss an unsere Wohnung in Brooklyn denken – in der jetzt alles zusammengepackt ist oder vielleicht von Aufsehern und der Polizei durchwühlt. Lena Morgan Jones ist tot, genau wie Raven gesagt hat, und jetzt wird es eine neue Lena geben, so wie die Bäume jedes Frühjahr neue Zweige hervorbringen, über den abgestorbenen und verrotteten. Ich frage mich, wer sie wohl sein wird.
    Einen Moment durchbohrt mich Traurigkeit. Ich habe bereits so viel aufgeben müssen, so viele Persönlichkeiten und Leben. Ich bin aus den Trümmern meiner alten Leben herausgewachsen, aus den Dingen und Menschen, die mir wichtig waren: meine Mutter. Grace. Hana. Alex.
    Und jetzt Julian.
    So wollte ich nicht sein.
    Irgendwo schreit eine Eule durchdringend in der zunehmenden Dunkelheit, wie ein entfernter Alarmton. Da trifft sie mich wirklich, die Gewissheit, die sich wie eine Betonmauer in mir aufrichtet. Das wollte ich nicht. Dafür bin ich nicht in die Wildnis gekommen, und das war nicht der Grund, aus dem Alex mich hergebracht hat: nicht, um mich abzuwenden, um die Menschen zu beerdigen, die mir wichtig

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