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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Wäschegeruch, nach Handtüchern mit Zitronenduft und Laken aus dem Trockner. Als Nächstes fällt mir die Stille auf. Ich lehne mich an die Tür, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben. Formen beginnen sich anzuordnen: eine Waschmaschine und ein Trockner in der Ecke, Wäscheleinen sind kreuz und quer durch den Raum gespannt.
    Ich frage mich, ob Julians Bruder hier eingesperrt war; ob er hier gestorben ist, allein auf dem Zementboden zusammengerollt, unter tropfenden Laken, den Geruch nach Feuchtigkeit in der Nase. Ich schiebe das Bild schnell beiseite. Wut ist nur bis zu einem gewissen Grad nützlich. Danach wird sie zu wildem Zorn und der macht unvorsichtig.
    Ich atme etwas auf. Hier unten ist außer mir niemand – ich kann die Leere spüren.
    Ich schleiche durch die Waschküche, ducke mich unter einer Reihe von Männerunterhosen durch, die an einer der Wäscheleinen hängen. In meinem Kopf blitzt der Gedanke auf, dass eine davon Julians sein könnte.
    Verrückt, wie man sich immerzu ablenken lässt.
    Hinter der Waschküche ist ein kleiner Vorratsraum mit Putzutensilien und dahinter eine schmale Holztreppe, die ins Erdgeschoss hinaufführt. Ich schleiche langsam und vorsichtig die Treppe hinauf, da die Stufen ausgetreten sind und aussehen, als könnten sie knarren. Doch alles bleibt ruhig, als ich hinaufgehe.
    Am Kopf der Treppe ist eine Tür. Ich halte inne und lausche. Das Haus ist still, und ein Gefühl von Nervosität kriecht mir über die Haut. Da stimmt irgendetwas nicht. Es ist zu einfach. Es müsste Wachen geben und Aufseher. Schritte müssten zu hören sein, gedämpfte Gespräche – irgendetwas anderes als diese Totenstille, die so schwer auf allem lastet wie eine dicke Decke.
    Als ich vorsichtig die Tür aufdrücke und in die Diele hinaustrete, trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag: Es sind schon alle weg. Ich komme zu spät. Sie müssen Julian schon ganz früh am Morgen weggebracht haben und jetzt ist das Haus leer.
    Trotzdem habe ich das Bedürfnis, in alle Zimmer zu sehen. Panik steigt in mir auf – ich komme zu spät, er ist weg, es ist vorbei. Das ist das Einzige, was ich tun kann: Ich muss in Bewegung bleiben, um die Panik zu unterdrücken, muss weiterhin lautlos über die Teppichböden schleichen und jeden Schrank absuchen, als ob ich in einem davon Julian finden könnte.
    Ich schaue im Wohnzimmer nach, das nach Möbelpolitur riecht. Die schweren Vorhänge sind zugezogen und verhindern den Ausblick auf die Straße. Es gibt eine makellose Küche und ein steifes Esszimmer, das unbenutzt wirkt; eine Toilette, die übermäßig nach Lavendel riecht; ein kleines Zimmer, das vom größten Fernseher beherrscht wird, den ich je gesehen habe. Außerdem gibt es ein Arbeitszimmer, das mit VDFA-Broschüren und anderem Werbematerial für das Heilmittel vollgestopft ist. Weiter den Flur entlang komme ich an einer verschlossenen Tür vorbei. Mir fällt ein, was Julian mir von Mr Finemans zweitem Arbeitszimmer erzählt hat. Das hier muss das Zimmer mit den verbotenen Büchern sein.
    Im Obergeschoss gibt es drei Schlafzimmer. Das erste ist unbenutzt und riecht muffig. Ich nehme an, dass dies das Zimmer von Julians Bruder gewesen ist und dass es seit seinem Tod verschlossen war.
    Als ich zu Julians Zimmer komme, sauge ich scharf die Luft ein. Ich weiß, dass es seins ist. Es riecht nach ihm. Obwohl er hier gefangen gehalten wurde, gibt es keine Anzeichen für einen Kampf. Sogar das Bett ist gemacht, die flauschige blaue Tagesdecke ist locker über grün-weiß gestreifte Bettwäsche gelegt worden.
    Einen Augenblick habe ich das Bedürfnis, in sein Bett zu klettern und zu weinen, mich in seine Decke zu hüllen, wie ich mich in der Zuflucht von seinen Armen habe umschließen lassen. Die Schranktür steht einen Spaltbreit offen; dahinter Regalbretter voller ausgebleichter Jeans und Hemden auf Bügeln. Diese Normalität bringt mich beinahe um. Selbst in einer Welt, die auf dem Kopf steht, einer Welt aus Krieg und Wahnsinn, hängen die Leute ihre Kleider auf. Sie falten ihre Hosen zusammen. Sie machen ihre Betten.
    Es ist die einzige Möglichkeit.
    Das nächste Zimmer ist viel größer und wird von zwei Betten dominiert, die einen Meter auseinanderstehen: das Elternschlafzimmer. In einem großen Spiegel, der über dem Bett hängt, erhasche ich einen Blick auf mich und schrecke zurück. Ich habe mich seit Tagen nicht im Spiegel gesehen. Mein Gesicht ist blass, die Wangenknochen treten hervor. Mein

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