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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Und wer sich kümmert, liebt.«
    »Stammt das auch von Raven?«
    Sie lächelt erneut. »Raven ist superschlau.«
    Ich muss eine Weile suchen, aber schließlich finde ich eine grüne Armyhose und ein langärmeliges Baumwoll-Shirt. Der Gedanke, fremde Unterwäsche zu tragen, ist sehr seltsam, deshalb behalte ich meine an. Sarah sagt, ich solle mein neues Outfit vorführen – das hier macht ihr Spaß und sie drängelt mich dauernd, unterschiedliche Sachen anzuprobieren, und verhält sich zum ersten Mal wie ein normales Kind –, und als ich sie auffordere, sich umzudrehen, damit ich mich umziehen kann, starrt sie mich an, als wäre ich verrückt. Wahrscheinlich gibt es in der Wildnis nicht viel Privatsphäre. Aber schließlich zuckt sie die Schultern und dreht sich mit dem Gesicht zur Wand.
    Es fühlt sich gut an, das lange T-Shirt loszuwerden, das ich jetzt schon seit Tagen anhabe. Ich weiß, dass ich stinke, und sehne mich nach einer Dusche, aber im Moment bin ich einfach dankbar für ein paar relativ saubere Kleider. Die Hose passt gut, sie sitzt mir tief auf den Hüften, und nachdem ich den Bund ein paarmal umgeschlagen habe, rutscht sie nicht allzu sehr. Das T-Shirt ist weich und bequem.
    »Nicht schlecht«, sagt Sarah, als sie sich zu mir umdreht. »Jetzt siehst du fast wieder aus wie ein Mensch.«
    »Danke.«
    »Ich sagte, fast.« Sie kichert wieder.
    »Also dann: fast danke.«
    Schuhe sind schwieriger. Die meisten Leute in der Wildnis gehen im Sommer barfuß und Sarah zeigt mir stolz ihre Fußsohlen, die braun und von Hornhaut überzogen sind. Aber schließlich finden wir ein paar Laufschuhe, die nur ein bisschen zu groß sind; mit dicken Socken geht es.
    Als ich in die Knie gehe, um die Turnschuhe zuzubinden, durchfährt mich erneut ein stechender Schmerz. Das habe ich so oft gemacht – vor Crossläufen in der Umkleidekabine, neben Hana und umringt von lauter anderen Körpern, alle witzelten herum, wer die beste Läuferin ist. All das war ganz selbstverständlich für mich.
    Zum ersten Mal kommt mir der Gedanke: Ich wünschte, ich hätte die Grenze nicht überquert , aber ich schiebe ihn sofort beiseite, versuche ihn zu unterdrücken. Jetzt ist es zu spät und Alex ist dafür gestorben. Es hat keinen Zweck zurückzublicken. Ich darf nicht zurückblicken.
    »Soll ich dir jetzt den Rest des Stützpunkts zeigen?«, fragt Sarah.
    Das An- und Ausziehen hat mich erschöpft. Aber ich sehne mich nach frischer Luft und Weite.
    »Ja, gern.«
    Wir gehen zurück durch die Küche und steigen die schmale Steintreppe neben dem Herd hinauf. Sarah flitzt voraus und verschwindet, als die Treppe eine scharfe Biegung beschreibt. »Oben!«, ruft sie zurück.
    Eine letzte enge Kurve und plötzlich ist die Treppe zu Ende. Ich trete in blendende Helligkeit hinaus, auf weichen Boden unter meinen Schuhen. Verwirrt stolpere ich. Einen Augenblick habe ich das Gefühl, als hätte ich einen Traum betreten. Ich blinzele und versuche diese andere Welt zu begreifen.
    Sarah steht lachend ein paar Schritte von mir entfernt. Sie hebt die Arme, ist ganz in Sonnenlicht getaucht. »Willkommen im Stützpunkt«, sagt sie und vollführt einen kleinen Hüpftanz im Gras.
    Der Ort, an dem ich geschlafen habe, liegt unter der Erde – das hätte ich an den fehlenden Fenstern und der dumpfen Feuchtigkeit erkennen können – und die Treppe hat uns an die Oberfläche geführt und uns dann unvermittelt ins Freie entlassen. Wo eigentlich ein Haus stehen sollte, das Oberteil zu den unterirdischen Räumen, ist nur ein großes Rasenstück, das von verkohltem Holz und riesigen Steinbrocken übersät ist.
    Auf hellen Sonnenschein oder den Geruch nach Wachstum und Leben war ich nicht vorbereitet. Überall um uns herum stehen riesige Bäume, deren Blätter an den Spitzen gelblich getönt sind, als würden sie langsam Feuer fangen, und werfen ein Muster aus Licht und Schatten auf den Boden. Einen Augenblick steigt etwas Urtümliches in mir auf und ich könnte auf den Boden sinken und vor Freude weinen oder die Arme ausbreiten und mich um mich selbst drehen. Nachdem ich so lange eingesperrt war, möchte ich all die Weite in mich aufnehmen, all die helle, klare Luft um mich herum.
    Sarah erklärt: »Das war mal eine Kirche.« Sie zeigt hinter mich auf die zersplitterten Steine und das geschwärzte Holz. »Aber den Keller haben die Bomben nicht erwischt. Es gibt eine Menge unterirdischer Orte in der Wildnis, die von den Bomben verschont geblieben sind. Du wirst

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