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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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vor. Die Helligkeit der Sonne, die Luft und die Weite um mich herum – alles verwirrt mich. Ich drehe mich um – zu schnell, unbeholfen – und stolpere über ein Stück Kalkstein, das mit Vogelkacke bespritzt ist; wie in Zeitlupe falle ich und dann lande ich mit voller Wucht mit dem Gesicht im Dreck.
    »Lena!« Sarah ist sofort neben mir und hilft mir wieder auf die Beine. Ich habe mir auf die Zunge gebissen und mein Mund schmeckt nach Metall. »Alles in Ordnung?«
    »Warte kurz«, sage ich leicht atemlos. Ich setze mich auf den Stein. Plötzlich fällt mir etwas ein: Ich weiß noch nicht mal, was für ein Tag heute ist, welcher Monat. »Was haben wir für ein Datum?«, frage ich Sarah.
    »Den siebenundzwanzigsten August«, antwortet sie, während sie mich weiterhin mit gerunzelter Stirn und besorgtem Gesichtsausdruck ansieht. Aber sie hält Abstand.
    Der 27. August: Am 21. August bin ich aus Portland weg. Ich habe beinahe eine Woche in der Wildnis verloren, an diesem Ort, wo alles verkehrt ist.
    Das hier ist nicht meine Welt. Meine Welt befindet sich Kilometer von hier entfernt: eine Welt mit Türen, die zu Räumen führen, und sauberen weißen Wänden und dem leisen Summen von Kühlschränken; eine Welt aus sorgfältig geplanten Straßen und Bürgersteigen, die nicht voller Risse sind. Ich verspüre erneut einen Stich und muss mich vorbeugen und meine Knie umfassen. In weniger als einem Monat hat Hana ihren Eingriff.
    Alex wusste, wie die Dinge hier laufen. Er hätte diese zerfallene Straße für mich aufbauen können, sie zu einem sinnvollen, ordentlichen Ort machen. Er sollte mich durch die Wildnis führen. Mit ihm wäre es mir gut gegangen.
    »Brauchst du irgendwas?« Sarahs Stimme ist unsicher.
    »Es geht gleich wieder.« Ich bekomme die Wörter kaum heraus, am Schmerz vorbei. »Es ist bloß das Essen. Bin nicht dran gewöhnt.«
    Mir wird gleich wieder schlecht. Ich nehme den Kopf zwischen die Knie und huste, um den Schluchzer zu unterdrücken, der mich schüttelt.
    Sarah weiß aber offenbar, was los ist, denn sie sagt mit ganz leiser Stimme: »Nach einer Weile gewöhnt man sich dran.« Ich habe das Gefühl, dass sie nicht nur das Frühstück meint.
    Danach gibt es nicht viel mehr zu tun, als uns auf den Rückweg zu machen: die zerbombte Straße entlang, zwischen den Metallsplittern hindurch, die im hohen Gras glitzern wie Schlangen auf der Lauer.
    Trauer ist wie Versinken, wie Begrabenwerden. Ich treibe in Wasser, das die gelbbraune Farbe aufgewirbelter Erde hat. Jeder Atemzug ist ein Ersticken. Es gibt nichts, woran ich mich festhalten könnte, keine Ränder, keine Möglichkeit, mich hochzuziehen. Ich kann nichts weiter tun als loslassen.
    Lass los. Spüre das Gewicht um dich herum, spüre, wie deine Lunge zusammengepresst wird, den langsamen, immer festeren Druck. Sink dahin. Da ist nichts außer dem Grund tief unten. Da ist nichts außer dem metallischen Geschmack, dem Echo vergangener Dinge und Tage, die aussehen wie Dunkelheit.

jetzt
    D
ieses Mädchen war ich damals: Ich stolperte, sank hinab, in Raum und Helligkeit verloren. Meine Vergangenheit ist sauber gewischt worden, zu einem kräftigen und makellosen Weiß gebleicht.
    Aber man kann aus allem eine Zukunft bauen. Aus einem Fetzen, einem Flackern. Aus dem Wunsch weiterzugehen, langsam, einen Schritt nach dem anderen. Man kann eine anmutige Stadt aus Ruinen bauen.
    Und dieses Mädchen bin ich jetzt: Ich presse die Knie zusammen, Hände auf den Oberschenkeln. Eine hochgeschlossene Seidenbluse, ein Rock mit wollenem Bund, das Standardmodell mit dem Emblem der Quincy-Edwards-Schule. Er juckt; ich wünschte, ich könnte mich kratzen, aber das tue ich nicht. Das würde sie als Zeichen von Nervosität deuten und ich bin nicht nervös, ich werde nie wieder in meinem Leben nervös sein.
    Sie blinzelt, ich nicht. Sie, das ist Mrs Tulle, die Schulleiterin. Sie hat ein Gesicht, das aussieht wie ein Fisch, der sich gegen eine Glasscheibe presst. Ihre Augen sind so groß, dass sie verzerrt wirken.
    »Ist zu Hause alles in Ordnung, Magdalena?«
    Es ist seltsam, dass sie meinen vollen Namen benutzt. Alle nennen mich sonst Lena.
    »Ja«, sage ich.
    Sie blättert in den Papieren auf ihrem Schreibtisch. Ihr Büro ist ordentlich, alle Kanten liegen genau aufeinander. Sogar das Wasserglas auf dem Schreibtisch steht genau in der Mitte des Untersetzers. Die Geheilten hatten schon immer was für Ordnung übrig: aufräumen, ausrichten, angleichen. Sauberkeit kommt der

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