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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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schon sehen.«
    »Eine Kirche?« Das überrascht mich. Unsere Kirchen in Portland bestehen aus Stahl, Glas und sauberen, weiß verputzten Wänden. Es sind desinfizierte Orte, Orte, an denen das Wunder des Lebens und Gottes Wissenschaft mit Mikroskopen und Zentrifugen gefeiert wird.
    »Eine der alten Kirchen«, sagt Sarah. »Davon gibt es eine Menge. Westlich von Rochester steht noch eine unversehrte. Ich zeige sie dir mal, wenn du willst.« Dann streckt sie den Arm aus und zieht mich am T-Shirt. »Los, komm. Es gibt viel zu sehen.«
    Ich war erst ein Mal in der Wildnis, und zwar mit Alex. Wir haben uns über die Grenze geschlichen, weil er mir zeigen wollte, wo er lebte. Seine Siedlung befand sich genau wie diese hier auf einer großen Lichtung, einem ehemals bewohnten Platz, den die Bäume und Pflanzen sich noch nicht zurückgeholt hatten. Aber diese Lichtung hier ist riesig und voller halb zerfallener steinerner Torbögen und noch teilweise aufrechter Mauern. An einer Stelle gibt es eine Reihe Treppenstufen, die sich spiralförmig vom Boden nach oben winden und im Nichts enden. Auf der letzten Stufe haben verschiedene Vögel ihre Nester gebaut.
    Ich kann kaum atmen, als Sarah und ich uns einen Weg durch das Gras bahnen, das feucht und stellenweise fast kniehoch ist. Es ist eine zerfallene Welt, ein widersinniger Ort. Türen, die sich ins Nichts öffnen, ein verrosteter Lastwagen ohne Räder, der mitten auf einem Streifen blassgrünem Gras hockt und aus dem ein Baum wächst; glitzernde, verdrehte Metallteile überall, geschmolzen und zu unkenntlichen Formen verbogen.
    Sarah geht neben mir, sie hüpft beinahe, sprudelt über vor Aufregung, jetzt, wo wir draußen sind. Leichtfüßig weicht sie den Steinen und metallenen Überbleibseln aus, die das Gras übersäen, während ich den Blick ständig auf den Boden gerichtet halten muss. Für mich ist das Gehen langsam und ermüdend.
    »Das hier war mal eine Stadt«, sagt Sarah. »Wahrscheinlich war dies die Hauptstraße. Die Bäume sind jung, aber es gibt kaum noch Gebäude. Daher weiß man, wo die Häuser mal standen. Holz brennt viel leichter. Klar.« Sie senkt die Stimme zu einem Flüstern und bekommt große Augen. »Es waren gar nicht mal die Bomben, die den größten Schaden angerichtet haben, weißt du. Es waren die Feuerstürme im Anschluss daran.«
    Es gelingt mir zu nicken.
    »Da drüben war mal eine Schule.« Sie zeigt auf eine weitere Fläche mit niedrigen Pflanzen, die in etwa die Form eines Rechtecks hat. Die Bäume am Rand sind vom Feuer gezeichnet: Weiß und praktisch ohne Blätter erinnern sie an große, dürre Geister. »Einige der Schließfächer standen weit offen. In einigen waren sogar noch Kleider und andere Sachen.« Einen Augenblick sieht sie schuldbewusst aus und dann wird es mir klar – die Kleider im Lagerraum, die Hose und das T-Shirt, das ich anhabe –, all diese Kleider müssen irgendwo herkommen, sind wahrscheinlich Beute aus Plünderungen.
    »Warte mal einen Moment.« Ich bin außer Atem und daher bleiben wir kurz vor der ehemaligen Schule stehen, während ich mich ausruhe. Wir stehen in einem Fleck Sonnenlicht und ich bin froh über die Wärme. Über unseren Köpfen zwitschern und schwirren Vögel, kleine flinke Schatten vor dem Himmel. In der Ferne kann ich fröhliche Rufe und Gelächter hören, Invaliden, die durch den Wald stapfen. Die Luft ist voller wirbelnder, segelnder goldgrüner Blätter.
    Ein Eichhörnchen hockt sich auf die Hinterbeine und bearbeitet schnell eine Nuss, die es zwischen den Vorderpfoten hält. Es sitzt auf der obersten Stufe einer Treppe, die mal der Eingang zur Schule gewesen sein muss. Jetzt kommen die Stufen aus weicher Erde, die von Wildblumen bedeckt ist. Ich muss an all die Füße denken, die genau dort, wo das Eichhörnchen sitzt, hingetreten haben. Ich muss an all die kleinen, warmen Hände denken, die Kombinationen in die Zahlenschlösser eingegeben haben, all die Stimmen, die Eile und die Bewegung. Ich muss daran denken, wie es wohl während der Offensive war – an die Panik, die Schreie, das Gerenne und das Feuer.
    In der Schule haben wir immer gelernt, dass die Offensive – die Säuberung – schnell verlaufen ist.
    Wir haben Filme mit Piloten gesehen, die aus ihren Cockpits winkten, während Bomben auf einen weit entfernten grünen Teppich mit Bäumen so klein wie Spielzeug fielen, schmale Rauchwolken, die wie Federn von den Pflanzen aufstiegen. Kein Chaos, kein Schmerz, keine Schreie. Die

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