Pangea - Der achte Tag
und Schachteln seiner Erinnerungen, Hoffnungen und Ängste. Liya hatte verstanden, dass Sariel sie mochte. Sehr mochte. Und sie hatte auch verstanden, dass es ihr ebenso ging. So absurd es scheinen mochte, erst als sie körperlos im Nichts festklemmte, hatte sie gemerkt, dass sie verliebt war. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Und dass sie sich nichts mehr wünschte, als wieder in ihre Welt zurückzukehren, um Sariel zu küssen.
Aber genau in dem Moment, als er dem kranken Jungen das Märchen erzählte, ihr Märchen, als sie dachte, dass jetzt doch noch alles gut werde - geschah die Katastrophe. Begann der Große Plan, das feine Gespinst über Raum und Zeit, zu scheitern. Löste sich alles auf. Ging alles schief.
Die Zeit hatte einen Riss bekommen, als die Sari die Zeitvögel losgeschickt hatten, um einen Jungen namens Huan zu entführen. Durch diesen Riss fiel Liya nun. Etwa in der Mitte des Märchens spürte sie, dass sich etwas um sie herum veränderte. Es war das unheimliche Gefühl, sich aufzulösen. Und ehe Liya noch einen letzten Hilferuf schicken konnte, wurde sie wie von einer Lawine fortgerissen und weiter durch die Zeit gewirbelt. Als hätte jemand den defekten Fahrstuhl repariert. Allerdings landete Liya nicht in Pangea. Der Zeitstrom, in dem sie hilflos trudelte, spülte sie in eine ferne Vergangenheit an einen fernen Ort.
Nach Hamburg. In genau die Nacht, bevor Huan von den Zeitvögeln entführt wurde, an die gleiche Stelle in der Alster. Liya war noch nie in ihrem Leben geschwommen. Sie hatte noch nie das Meer gesehen, noch nicht einmal einen See. Dennoch wusste ihr Körper instinktiv, was er tun musste. Panisch schwamm Liya auf die Wasseroberfläche zu.
Aufstieg
Der Krater rief ihn. Schon die ganze Zeit, die ganze Reise über, womöglich schon immer. Je näher Sariel dem Krater kam, desto deutlicher wurde ihm bewusst, dass seine früheren Vorahnungen und die dunklen Träume mit diesem Berg und seinem Geheimnis zusammenhingen. Hier am Ngongoni, in unmittelbarer Nähe des Kraters, begriff Sariel, dass Pangea schon sein ganzes Leben lang in ihm gewesen war und auf ihn gewartet hatte. Pangea war sein Schicksal und vielleicht würde er hier sterben. Ziemlich wahrscheinlich sogar. Aber zumindest - das schien nun klar - würde Sariel kurz zuvor noch das größte Geheimnis von allen erfahren. Doch zuvor musste er Mingan finden und verhindern, dass sie mit der Zeitmaschine der Sari zuletzt noch eine entsetzliche Katastrophe auslöste. Sariel hatte keinen Plan, was er mit der Zeitmaschine anstellen würde. Er ahnte nur, dass sie seine letzte Chance war, sich und Liya zu retten.
Er hatte wenig Zweifel, dass er Mingan finden würde, so riesig das Waldgebiet um den Vulkan herum auch sein mochte. Der Geist des Nimrods machte ihn zum Jäger. Das Einzige, was er brauchte, war eine erste Spur. Dazu musste er eigentlich nur das Wesen fragen, das Mingan zuletzt gesehen hatte. Aber wie fragte man einen Kalmar?
Sariel tätschelte ratlos einen von Shans Fangtentakeln. Er wusste, dass er sich mit Kalmaren über den Austausch von Gefühlen verständigen konnte. Er hatte jedoch keine Ahnung, wie man auf diese Weise Fragen formulierte. Also stellte er sich einfach Mingan vor, wie er sie in Orisalaama gesehen hatte, versuchte, ihr Bild in allen Einzelheiten wiederherzustellen. Er rief sich sämtliche Ereignisse seiner Flucht vor Augen und bemühte sich, dabei jedes Gefühl zuzulassen, das damit verbunden war. Die Bilder, die in seinem Kopf entstanden, waren chaotisch und verzerrt. Er schweifte oft ab und musste sich immer wieder aufs Wesentliche konzentrieren. Er erzählte in Gedanken eine verworrene Geschichte vom Verlorengehen und Finden, von Verzweiflung, Furcht, Hoffnung und Freundschaft. Eine Geschichte, die er selbst nicht verstand. Sariel hoffte nur, dass die Kalmare klüger waren als er.
Auch darauf bekam er keine Antwort. Aber irgendwann unterbrach ihn Shan, indem sie ihm den Tentakel abrupt entzog und sich unruhig nach Biao umwandte, der die ganze Zeit dicht neben ihr gestanden hatte. Sariel spürte, dass Shan plötzlich sehr aufgebracht war. Richtig wütend. Ihre Hautfarbe wechselte in ein dunkles Blau und sie stieß erboste Pfeiflaute aus. Ganz offenbar wollte sie nicht an Mingan erinnert werden. Biao beruhigte sie, indem er seinen Fangtentakel um einen von ihren schlang und ihn nicht mehr losließ. Eine Weile standen sie nur so da und Sariel spürte eine Welle von Zärtlichkeit um die beiden großen Wesen
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