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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
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immer.
    Liya sah Yuanfen dabei zu, wie sie eine Schürfwunde versorgte, die Gui sich beim Verstauen der Ausrüstung zugezogen hatte. Yuanfen zupfte verschiedene Kräuter aus ihrem Korb, rieb sie klein, kaute sie einmal gründlich durch und spuckte sich den grünlichen Brei dann in die Hand. Das Ganze vermischte sie mit einem Klumpen Fett aus einem ihrer Beutelchen und strich Gui das ranzige Gemisch auf die Wunde. Gui zuckte leicht zusammen und verzog das Gesicht.
    »Tut gleich nicht mehr weh«, sagte Yuanfen. »Spürst du's schon?«
    Gui nickte und lächelte.
    »Woher weißt du das alles?«, fragte Liya. »Ich meine, über Wunden und Kräuter und so.«
    Yuanfen zuckte mit den Achseln. »Von meiner Mutter. Sie war Heilerin.«
    »War?«
    »Sie ist tot.«
    »Wie ist sie gestorben?«
    »Sie war krank. Auch ihre eigene Medizin konnte sie nicht retten. So ist das eben.« Yuanfen wandte sich wieder Gui zu. »Und?«
    »Schon viel besser!«, strahlte Gui.
    »Bis morgen wird es fast verheilt sein«, versprach Yuanfen, und Liya fing an, sie zu mögen. Trotz ihrer Eifersucht.
    Liya kroch in ihren Schlafsack und wartete, bis auch Yuanfen und Gui sich endlich zum Schlafen eingerichtet hatten. Sie selbst war kein bisschen müde, trotz des anstrengenden Tages, denn sie wollte noch etwas Wichtiges erledigen, das keinen Aufschub bis zum nächsten Morgen duldete. Aber dafür musste sie warten, bis die anderen Mädchen eingeschlafen waren.
    Erst weit nach Mitternacht traute Liya den regelmäßigen Atemgeräuschen der sechs Mädchen so weit, dass sie sich vorsichtig aus ihrem Schlafsack schälte und auf Zehenspitzen die Unterkunft verließ.
    Im gesamten Festungsbereich war noch allerhand los. Die älteren Zhan Shi standen in kleinen Gruppen zusammen, rauchten fermentiertes Steppenkraut gegen die Müdigkeit und diskutierten die Chancen, auf den Sariel zu treffen. Sie wirkten ruhig und gefasst, aber Liya spürte ihre Nervosität und bei einigen auch die Angst. Sie konnte ihre Gefühle förmlich glimmen sehen in der Dunkelheit, fast jeder Krieger verbreitete eine blaue Aura um sich, mehr oder weniger ausgeprägt. Liya hielt nach Li Ausschau, konnte ihn aber nirgendwo entdecken. Doch wegen Li war sie nicht so lange wach geblieben.
    Die rauchenden Zhan Shi waren zu sehr mit sich beschäftigt, als dass irgendwer das Mädchen bemerkt hätte, das im Schatten der niedrigen Gebäude eilig auf den Palast des Gon Shi zustrebte. Liya überlegte fieberhaft, wie sie an den Palastwachen vorbeikommen könnte. Als sie den Palast jedoch erreichte, sah sie, dass ihre Überlegungen überflüssig gewesen waren.
    Ihr Vater erwartete sie schon.
    Liya erkannte seine hagere Gestalt und die weißen Haare schon von Weitem. Er stand vor dem Palast im Licht des abnehmenden Mondes und blickte gelassen in ihre Richtung. Er hatte sie bereits entdeckt. Überrascht stellte Liya fest, dass er ebenfalls Steppenkraut rauchte. Es war das erste Mal, dass sie ihn rauchen sah.
    »Ich habe mir schon gedacht, dass du noch kommen würdest«, begrüßte er sie ruhig.
    Liya hatte sich eine kleine Rede überlegt, als sie vorhin im Schlafsack darauf gewartet hatte, dass die Mädchen endlich einschliefen. So viele Fragen, auf die sie eine Antwort wollte. Großartige Sätze, die wie Ohrfeigen wirken und ihren Vater sprachlos machen sollten. Jetzt aber war sie es, die sprachlos wurde und alles vergaß, was sie sich vorhin überlegt hatte. Sie nickte nur und kam sich linkisch und blöd vor.
    »Seit wann rauchst du?«, war alles, was sie herausbrachte.
    Ihr Vater lachte. »Mach dir darüber keine Gedanken. Es ist eine Art Ritual, nichts weiter.«
    Liya blickte ihren Vater an und versuchte herauszufinden, was in ihm vorging. Doch wie immer blieb ihr das verborgen, sie spürte nur einen schwachen liebevollen Schimmer in seiner Gefühlsaura.
    »Warum spielst du dieses Spiel mit mir?«, fragte sie ihn schließlich.
    »Spiel?«
    »Na ja, erst verbietest du mir, eine Zhan Shi zu werden, und sobald ich Himmel und Hölle in Bewegung setze, um hier irgendwie ernst genommen zu werden, wirkt es plötzlich, als würdest du die ganze Zeit deine Hand über mich halten. Was soll das?«
    Ihr Vater nickte. »Hasst du mich?«
    Die Frage machte Liya einen Moment sprachlos. »Was ... hat das denn damit zu tun?«
    »Hasst du mich? Sag schon. Ganz ehrlich.«
    »Ganz ehrlich?«
    »Ja. Morgen ziehen wir los, um den Sariel zu finden. Vielleicht scheitern wir und werden untergehen. Es ist also keine Zeit mehr für

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