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Pangea - Der achte Tag

Pangea - Der achte Tag

Titel: Pangea - Der achte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schlüter
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sich, wer von den Kriegerinnen wohl für ihren Tod stimmen würde. Als die glänzenden Druckluftkuppeln standen, zogen sich die Mädchen in eines der Zelte zurück und hielten ihr Tribunal ab.
    Die plötzliche Veränderung verstörte Liya zutiefst. Wie ein abrupter Wetterumschwung in der Wüste hatte Mingans Stimmung sich von einem Moment zum anderen verändert. Ihr Verhalten war völlig rätselhaft, der Vorwurf des Verrats so absurd und an den Haaren herbeigezogen. Es ergab einfach keinen Sinn. Noch nicht einmal unter dem Einfluss des Seelentiers.
    Es sei denn...
    Liya kam nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu denken, denn Yuanfen rief sie ins Zelt. Als sie das Zelt betrat, spürte Liya eine Mischung aus Angst, Verunsicherung und Hass, die von den Mädchen ausging. Naiyong und Gui trauten sich kaum, ihr in die Augen zu blicken. Nur Yan hatte ihren gewohnt verschlagenen Blick aufgesetzt, doch Liya spürte bei ihr seltsamerweise die größte Verunsicherung. Duo sah nicht gut aus, gar nicht gut. Sie hockte abseits und stierte apathisch vor sich hin, wippte dabei nur leicht mit dem Oberkörper und hielt einen Becher Tee in der Hand, den Yuanfen ihr gemacht hatte, ohne zu trinken. Duo brauchte dringend Hilfe.
    »Wir verurteilen dich als Verräterin«, begann Mingan ohne Umschweife, und Liya wurde schlagartig eiskalt. »Aber wir töten dich nicht, sondern lassen dich hier zurück. Das hast du Yuanfen zu verdanken.«
    Liya sah zu Yuanfen hinüber, die ihren Blick nicht erwiderte. »Du weißt genau, dass das gegen alle Regeln der Zhan Shi verstößt, Mingan«, sagte sie und wunderte sich über ihre Ruhe dabei. »Dafür wirst du dich rechtfertigen müssen.«
    Mingan schien es gar nicht gehört zu haben. »Wir brechen sofort auf. Deinen Kalmar nehmen wir mit.«
    Das war der Moment, in dem Liya sich mit einem Schrei auf Mingan stürzte, um ihr wehzutun.
    Ein halbes Märchen später waren die Zelte wieder abgebaut und auf den Kalmaren verstaut. Liya saß gefesselt an einen Felsbrocken gelehnt im Schatten, blutete aus der Nase und hatte eine gebrochene Rippe von dem Schlag, mit dem Mingan ihren Angriff abgewehrt hatte. Wieder einmal war Liya zu wütend gewesen für einen erfolgreichen Angriff. Jetzt musste sie ohnmächtig zusehen, wie Mingan Biao belud und mit einem Strick an ihrem Kalmar festband. Liya wunderte sich, dass Biao alles klaglos mitmachte und nicht einmal versuchte, sich zu verweigern. Geschweige denn, ihr zu helfen. Liya fragte sich enttäuscht, ob sie sich in den Kalmaren geirrt und ihnen zu viel zugetraut hatte. Womöglich waren sie wirklich nur dumpfe Oktopusse, die jedem folgten, der das Sagen und genug Mondtränen hatte. Biao hatte sie ihr ganzes Leben begleitet, war Reittier, Beschützer, Trostspender und Spielkamerad gewesen. Mehr noch - ihr Freund. Und nun ließ er sie einfach so im Stich, ohne auch nur die Hautfarbe zu wechseln.
    Selbst Yuanfen, ihre angebliche Freundin, tat nichts, um ihr zu helfen. Als hielte Mingan alle in einem Bann.
    »Wenn ihr mich so zurücklasst, könnt ihr mich auch gleich umbringen!«, rief Liya den Mädchen zu. »Gefesselt überlebe ich nicht mal die nächste Nacht. Gebt mir wenigstens den Kyrrschal!«
    Gui wollte eine Bewegung machen, um nach Liyas Kyrrschal zu greifen, doch Mingan schlug ihr die Hand weg, schnappte sich den kostbaren Schal und legte ihn sich um. Ohne ein Wort. Dann gab sie das Kommando zum Aufbruch.
    Liya wunderte sich, wie wenig sie empfand, als sich die sechs Mädchen mit sieben Kalmaren langsam von ihr entfernten. Keine Wut, keine Verzweiflung, keine Angst. Noch nicht. Nur grenzenloses Erstaunen, wie schnell das Schicksal in der Wüste immer wieder zuschlagen konnte.
    Kurz bevor die kleine Karawane ganz aus ihrem Blickfeld verschwand, drehte sich Biao noch einmal um und warf ihr aus müden Augen einen letzten Blick zu. In diesem Moment verstand Liya, dass sie sich nicht in den Kalmaren geirrt hatte, sondern sie bloß niemals verstehen würde. Die Kalmare verfolgten ihre eigenen seltsamen Pläne.
    Und ich bin offenbar kein Teil mehr davon.
    Liya zwang sich zur Vernunft, um der Panik keine Lücke zu geben, in die sie einsickern konnte. Es wurde höchste Zeit, die Fesseln loszuwerden.
    Liya brauchte dafür nicht lange. Obwohl Mingan persönlich sie fest zusammengeschnürt hatte wie ein Paket, hatte sie nicht darauf geachtet, wie Liya ihre Arme hinter dem Rücken verschränkte. Und sie wusste nicht, dass Liya mit zehn Jahren einmal übel von Biao gestürzt war

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