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Panic

Panic

Titel: Panic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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überspielen. Im Zweifel für den Angeklagten, dachte ich erneut.
    »Vielleicht in ein paar Tagen«, vertröstete ich Kurant. »Ich hab heute einen großen Hirsch aufgespürt, doch dann ist mir die Dunkelheit dazwischengekommen. Ich will gleich morgen früh seine Spur wieder aufnehmen. Das wär nichts für ’nen Anfänger.«
    Kurant steckte die Zurückweisung gleichmütig weg. Er hatte eine nette Art, die einem die Zunge löste. »Na schön, aber ich nehm Sie beim Wort.«
    Ich wäre am liebsten in meine Hütte gegangen, aber ich hatte Angst, Verdacht zu erregen, wenn ich so früh zu Bett ging. Im weiteren Verlauf des Abends fiel mir auf, dass Earl, rechts von mir, zunehmend betrunkener wurde. Wir hatten uns zum Kaffee wieder in den großen Raum begeben. Lenore war auf der Toilette, ich stand an der Bar und spürte plötzlich Earls Hand auf meinem Hintern. Er grinste anzüglich. »Klasse, wie du diesen Böcken hinterherrennst, Süße. Kommst den Biestern so richtig nah, was?«
    Ich legte meine Hand auf seine. Ermutigt, versuchte Earl eine Kreisbewegung. Doch er kam nicht weit, weil ich ihm mit einem schmerzhaften Selbstverteidigungsgriff die Handfläche nach außen krümmte und dabei scheu mit den Wimpern klimpernd konterte: »Den ganzen Tag auf dem
Arsch
zu hocken, so wie Sie, Earl, muss ziemlich langweilig sein.«
    Earl zuckte zusammen und versuchte mir seine Hand zu entwinden, aber ich ließ nicht locker. »Andererseits haben Sie Recht«, fuhr ich fort, »beim Spurenlesen muss man wissen, wann man auf Tuchfühlung geht und wann lieber nicht.«
    Nach einem letzten Ruck gab ich seine Hand frei. Er war puterrot im Gesicht und rieb sich das Handgelenk. Dann grinste er wölfisch. »Sind wir heute ein bisschen reizbar?«
    Lenore kam zurück und witterte augenblicklich die Spannung. »Was ist los?«
    »Ihr Mann hat die Jagd auf mich eröffnet«, sagte ich. »Aber da spiel ich nicht mit.«
    Für den Bruchteil einer Sekunde bekam Lenores Selbstbeherrschung einen Sprung, und ihr Gesichtsausdruck verriet den hilflosen Schmerz, wie ihn Kinder alkoholkranker Eltern empfinden, ehe sie wieder ihre ironische Miene aufsetzte. Schlagartig wurde es still im Raum.
    »Ich glaube, kleiner Mann, wir sollten uns mal wieder darüber unterhalten, was man in Texas vom Teilen hält«, sagte sie mit versteinerter Miene. »Es wird dir nicht gefallen.«
    Earl funkelte zuerst mich an, dann seine Frau. Dann lachte er. »Verdammt, ich hab mir nichts dabei gedacht. Du weißt doch, wie gern ich flirte, Süße. Was soll ich tun, kann’s nun mal nicht lassen.«
    »Lass uns gehen, Earl, sonst bricht sie dir noch das Handgelenk«, sagte Lenore. »Oder ich tu’s.«
    Earl blickte belämmert in die Runde. »Jungs, habt Mitleid mit mir, ich bin geliefert, so viel steht fest.«
    Keiner sagte ein Wort. Nachdem die Addisons gegangen waren, murmelte Butch nur: »Was für’n Blödmann!« Die anderen gähnten nervös und gingen grüppchenweise hinaus. Ich wartete, bis nur noch Cantrell und ich übrig waren.
    »Schon angerufen?«, fragte ich.
    »Wollte warten, bis sich alle verzogen haben«, flüsterte er. Er spähte den Gang entlang, in Richtung Esszimmer und Küche. »Erst muss ich mir überlegen, wie ich es Sheila beibringe.«
    »Erzählen Sie’s ihr, und dann holen Sie die Mounties her!« Ich blieb beharrlich.
    Cantrells Augen blitzten. »Ich weiß selber, was ich zu tun hab, Mrs. Jackman. Aber ich tu’s auf meine Weise.«
    »Ich wollte nur sichergehen«, sagte ich. Ich hielt seinem Blick stand.
    Nachdem wir etliche Momente so verblieben waren, murmelte Cantrell: »Na schön, ich kümmere mich jetzt gleich drum.« Und verschwand in die Küche.
     
    Draußen auf der Veranda blickte ich zum mondbeschienenen Himmel hinauf. Einzelne Wolkenfetzen trieben ostwärts. Ein aufgewühlter Himmel vor dem Nichts der unendlichen Nacht. Mein Großonkel Mitchell pflegte in solchen Nächten stundenlang die Wolken anzustarren.
    »Nächtliche Wolken zeugen von der Gegenwart einer großen Kraft«, sagte er mir einmal. »Diese Kraft durchzieht unsere Gedanken wie der Schatten, den die Wolke auf Berge und Täler wirft.«
    Mitchell. Er war schon über siebzig, als ich ihn bewusst wahrzunehmen begann, seine Haut, die gegerbtem Leder glich, sein unergründliches Lächeln und das lange, silberweiße Haar, das ewig nicht trocken wollte, wenn ihn der Regen überraschte, was häufig geschah. Sein Atem roch nach Tabak, und seine Stimme war sanft und rau zugleich. Er liebte Birken,

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