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Panic

Panic

Titel: Panic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark T. Sullivan
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da war er so ’ne Art ausgeflippter Hippie, hat gegen den Krieg demonstriert und so’n Scheiß. Ich war in der Army, aber ich hatte ihn trotzdem gern, und da kommt dieser Wichser mit der Wolfsmütze daher und schlachtet ihn ab.«
    Ich legte meine Hand auf seine kräftige Schulter, und eine Sekunde lang lehnte er sich an mich. Dann blickte er verlegen zur Seite. Er wischte sich mit dem Ärmel seiner Wolljacke über die Nase. Anscheinend wusste er nicht, wo er war. Und es schien ihn auch nicht zu interessieren, wo ich gewesen war.
    »Phil, ich hab mit dem Killer gesprochen.«
    Er sah mich aus müden Augen an. »Mit uns hat er auch geredet. Gehen Sie rein, erzählen Sie’s den anderen. Ich kann da jetzt nicht reingehen. Bleib lieber hier draußen und halt Wache.«
     
    Ausrufe ungläubigen Staunens tönten mir aus dem Blockhaus entgegen, als ich den Hof überquerte. Ich war so müde, dass ich zunächst nicht ausmachen konnte, woher sie kamen. Die Türen waren geschlossen. Die Fenster ebenso. Dann sah ich hinauf zum ersten Stock, zu den Buntglasfenstern. Das mittlere Fenster, mit den zwei kämpfenden Hirschen, war geborsten. Im leeren Bleirahmen hingen noch Scherbenreste wie breite Blütenblätter, eine riesige dunkle Blume.
    Ich trat in die Küche. Hier brannte zwar Licht, aber der Raum war leer. Dann öffnete ich die Tür zum Aufenthaltsraum. Hier war offenbar die Hölle los gewesen. Arnie, Griff und Cantrell standen auf dem ersten Treppenabsatz und hüllten Butchs Leiche in ein weißes Laken. Auf der anderen Seite des Raums beugte sich Lenore über Earl und hielt ihm den Kopf, damit er trinken konnte. Theresa und Sheila saßen auf der Couch am Kamin und hielten sich umarmt. Sie hatten den wirren Blick von Überlebenden eines Autounfalls, nur fünf Minuten, nachdem es passiert ist.
    »Es ist meine Schuld«, schluchzte Theresa. »Alles meine Schuld.«
    »Nein, ist es nicht, Schatz«, würgte Sheila heraus. »Du hast nur einen Fehler gemacht. Das ist alles.«
    Kurant und Nelson standen auf dem oberen Treppenabsatz, vor dem kaputten Fenster. Cantrell boxte gegen die Wand, während der Journalist Fotos machte.
    »Wie konnte er diesen Sprung überleben?«, fragte Nelson.
    Kurant zuckte mit den Schultern. Nelson drehte sich um und wiederholte die Frage, schrie sie nach unten und wartete auf eine Antwort, als er mich da stehen sah. Ich tat noch einen Schritt, da begann der Raum sich zu drehen. Nelson kam in Zeitlupe auf mich zugelaufen, Kurant ebenso. Beide zeigten auf mich, brabbelten Zeug, das ich nicht verstand. Blutrote Punkte tanzten vor meinen Augen, und ich spürte, wie ich zu Boden sank, einer tröstlichen Schwärze entgegen.
     
    Ich weiß noch, wie ich flackernd die Lider öffnete und verschwommen Griff neben mir sitzen sah. Er brachte ein schwaches Lächeln zustande und sagte mir, ich solle ruhig schlafen, ich käme wieder in Ordnung. Da sank ich erneut in diese warme Schwärze, die in einen cremigen Zustand überging, von derselben Farbe wie die seltsame Stille, die über dem Wald gelegen hatte, nachdem ich die Wölfe verscheucht hatte. Aus Griff wurde mein Vater, der in unserem Haus in Bangor still und entschlossen an mir vorbeiging, um nach meiner Mutter zu sehen. Es war im Frühling, mein letztes Jahr an der High School, eigentlich eine Zeit, die geprägt sein sollte von Fröhlichkeit, von Vorfreude aufs College, von Partys und Zuversicht.
    Ich aber lebte ein heimliches Leben.
    Jeden Morgen vor der Schule half ich Katherine beim Anziehen, redete mit ihr in lichten Momenten darüber, welche Insekten draußen im Fluss wohl am Schlüpfen waren, und in verwirrten Momenten sprach ich mit ihr wie mit einem Kleinkind. In jede Unterhaltung mischte sich die Angst, dass es die letzte sein könnte, dass ich bei der Rückkehr aus der Schule meine Mutter tot vorfinden könnte, ermordet von einem Vater, der an einer Weltsicht festhielt, die es schon seit über hundert Jahren nicht mehr gab.
    Ich sprach mit meinem Vater nie mehr darüber, was ich empfand. Das war auch gar nicht nötig. Er sah es an den Wolken, die mein Gesicht verfinsterten, wenn er kam, um sich von Katherine zu verabschieden, bevor er morgens zur Klinik fuhr.
    Wenn ich Katherine dann allein ließ, war mir stets bewusst, was ihr alles zustoßen konnte, und ich betete darum, dass sie wohlauf war, wenn ich zurückkehrte.
     
    Offenbar hatte ich im Schlaf geschrien, denn ich war schlagartig wach. Griff drückte mir gerade eine Eispackung auf die geschwollene

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