Panik: Thriller (German Edition)
das Glas schepperte.
» Geh auf!«, schrie sie und wünschte sich plötzlich, dass die Polizei noch da wäre, dass irgendjemand da wäre. Mrs. Braid versuchte nicht länger aufzustehen. Sie hatte sich auf den Rücken gerollt und kroch auf allen vieren durch den Garten– genau wie Daisy vorhin. Ihre gekrümmten Finger rissen Erdklumpen aus dem Rasen, als sie vorwärtskrabbelte.
Daisy trat noch einmal gegen die Tür, dann rannte sie den Gehweg entlang, der um das Haus zur Vorderseite führte. Mrs. Baird holte auf. Ihr schlaffes Gesicht wirkte erschöpft, doch ihre Schweinsäuglein glitzerten mit einer Entschlossenheit, die Daisy noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte. Ihr feuchter Mund war weit aufgerissen. Sie stieß kleine heisere Doppelschreie aus, die an ihren Namen erinnerten– Dai-siii, dai-siii, dai-siii. Sie pflügte förmlich durch das Gras, ihre Gliedmaßen bewegten sich viel zu schnell für eine Frau ihres Alters. Es war, als würde sie von einem Uhrwerk angetrieben, das unter ihrer Haut steckte.
Daisy rannte den Pfad entlang– egal wohin. Sie hörte Stimmen von der Straße, aber auch das war ihr egal. Sie wollte nur weg von dem Ding, das hinter ihr her war und mit jedem keuchenden Atemzug ihren Namen kreischte.
Cal
Boxwood St. Mary, 19 : 07 Uhr
» Bitte bei der nächsten Gelegenheit wenden.«
Cal hätte dem Ratschlag des Navi nur zu gerne gehorcht, kehrtgemacht und diese seltsame kleine Stadt hinter sich gelassen.
Aber er konnte nicht. Irgendetwas hatte ihn dazu bewogen, kurz hinter Mildenhall die relativ leere M11 zu verlassen– dieselbe wortlose Stimme in seinem Kopf, die ihn nun die Anweisungen des Navi ignorieren ließ. Stattdessen setzte er den Blinker und bog von der Hauptstraße in eine kleine Seitenstraße ab.
Hier waren wieder Menschen. Ein Lieferant lud Kisten aus einem Kühlwagen. Ein paar Teenager mit Skateboards lungerten lachend an einer Straßenecke herum. Das hätten auch seine Freunde vor der Bücherei in Oakminster sein können– sie waren völlig sorglos, ihre Gedanken kreisten nur um die Frage, wer wen toll fand und wie man es ihm oder ihr am besten sagte. Er dachte an Georgia, an Megan und Eddie und die anderen. Es kam ihm wie eine Million Jahre vor, dass er sie zum letzten Mal gesehen hatte.
Als Cal sich näherte, fing der Lieferant an, in der Luft herumzuschnuppern. Die Kiste fiel aus seiner Hand. Ein Milchkarton platzte. Der Lieferant rannte auf den Freelander zu. Cal gab etwas mehr Gas. Jetzt hatten ihn auch die Skateboarder gewittert. Da zu beiden Seiten Autos parkten, hatte Cal keinen Platz, um auszuweichen. Er fuhr mit vierzig Sachen dahin und hoffte, dass sie rechtzeitig zur Seite springen würden.
Was sie nicht taten. Der erste Teenager rannte wie ein wütender Stier gegen den Geländewagen an und wurde sofort zurückgeschleudert. Die anderen prallten von der Motorhaube ab und fielen in die Lücken zwischen den parkenden Autos. Cal blieb nicht stehen, selbst als der Freelander über etwas Großes, Weiches rollte. Er bog um die Ecke, folgte diesem seltsamen Radar in seinem Kopf, dieser allumfassenden Stille, die er trotz der affenähnlichen Schreie, des Türenknallens und der Schritte hinter ihm verspürte. Er nahm die Nächste links und fuhr schneller, damit einige Kinder, die gerade einen Hofflohmarkt veranstalteten, erst dann auf ihn aufmerksam wurden, wenn er schon längst vorbei war.
Jetzt ging es bergab, wieder nach rechts und eine steile Anhöhe hinauf. Die Stille in seinem Kopf wurde lauter– wenn so etwas möglich war. Als wäre er auf dem Grund eines Schwimmbeckens, eine perfekte, friedliche Ruhe. Er fühlte sich geborgen– obwohl er die wilde Meute im Rückspiegel sah, obwohl er keine Ahnung hatte, wohin er fuhr, hatte er die Gewissheit, auf dem richtigen Weg zu sein.
An der nächsten Kreuzung rollte der Freelander über ein Fahrrad, das mitten auf der Straße lag. Vor ihm war Bewegung: Ein Mann lief auf eine Menge zu, die sich vor einem Haus zu seiner Linken versammelt hatte. Sie waren zu viert oder fünft, Männer, Frauen und sogar ein kleiner Junge, der nicht älter als fünf sein konnte. Alle Gesichter waren vor Wut verzerrt wie Dämonenmasken. Er gab Gas, denn wieder spürte er jemanden in der Nähe, der wie er selbst war.
Er hatte keine Zeit, um sich einen Plan auszudenken. In Sekundenschnelle hatte Cal die Menge erreicht und trat auf die Bremse. Der Freelander schlitterte gegen eine niedrige Mauer. Eine Frau taumelte auf ihn zu. Sie heulte
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