Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Panter, Tiger und andere

Panter, Tiger und andere

Titel: Panter, Tiger und andere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Tucholsky
Vom Netzwerk:
eindimensional sind – Rasieren, Familienliebe, Geschäfte, Zigarrenanzünder und eine vage Mischung von Kommunistenangst und Gottesdienst. Dazwischen – was ebenso angelsächsisch wie menschlich ist –: das Jungenhafte im Mann. Babbitt in der Badewanne: »Er patschte ins Wasser, und die Lichtreflexe zersprangen, schwankend und funkelnd. Er war kindisch und zufrieden. Er spielte. Er rasierte einen Streifen an der Wade seines dicken Beines herunter… Er seifte sich ein und wusch sich ab und rieb sich streng und nüchtern trocken, er fand ein Loch im türkischen Handtuch, steckte gedankenvoll einen Finger durch und marschierte, ein ernster und unbeugsamer Bürger, ins Schlafzimmer zurück.« Und dann schläft er ein. Und hier hat Lewis den grandiosen Abschluß dieses amerikanischen Tages gefunden: er spielt die große Arie Gleichzeitigkeit, er singt »In solcher Nacht« und malt lauter kleine Bilderchen an die Wand. »Im selben Augenblick saßen…« Denn das ist schrecklich und lustig und merkwürdig zugleich, wie Alles neben einander liegt, hängt, zappelt. »Im selben Augenblick schliefen in der Stadt dreihundertundvierzig – oder fünfzigtausend alltägliche Menschen wie ein ungeheurer undurchdringlicher Schatten. In einer Spelunke jenseits der Eisenbahn öffnete ein junger Mann, der sechs Monate lang vergeblich Arbeit gesucht hatte, den Gashahn und tötete sich und sein Weib.« Und nun erst schläft Babbitt richtig ein. »Und im selben Augenblick drehte sich George F. Babbitt schwerfällig im Bette um – ein letztes Zeichen des Bewußtseins, mit dem er andeutete, dass er jetzt genug gehabt hätte von diesem unruhigen Einschlafen und allen Ernstes ans Werk gehen wollte.« Gute Nacht.
    Es ist ein wahres modernes Buch. Es scheut sich nicht, Annoncenteile mitten im Text zu haben; es gibt endlich einmal die ganz natürlichen Seiten des Daseins, um die wir so viel Brimborium machen, indem wir sie pathetisch verklären oder pathetisch vereinfachen – so ist da die Reproduktion des kleinen Zettels, der das Resultat einer angestrengten geistigen Abendarbeit Babbitts darstellt: ein Geschmier von ein paar Schlagwörtern, einem gekritzelten Männerkopf, ein paar Zinszahlen und dem aus Langerweile hingemalten Namensmonogramm. Denn so sehen wir aus, wenn wir arbeiten. Babbitt schaukelt langsam in die Politik, er wird ein beliebter Redner; wie ist die soziale Angst geschildert, die so ein Individuum vor jeder Gruppe und ihren Machtträgern hat, diese Feigheit, mit der sich das durchsetzt… Und dann verläßt Babbitt langsam den Photographie-Rahmen seiner Gattung, und aus der Schilderung der Type wird eine Geschichte.
    Es ist eigentlich keine rechte Geschichte mit Einleitung, Höhepunkt und Abklang – es ist wie ein Stück Flaubert, was da steht: es zieht so vorbei. Wie Babbitt mit seinem besten Freund in die Sommerferien geht, endlich allein! endlich ohne Familie, wie er kindisch, etwas sentimental und etwas dämlich diese Sommerwochen verlebt, wie er wieder zurückgehen muß, aber nicht will; der Freund schießt auf die eigne Frau, kommt ins Gefängnis, Babbitt wird der heiligen Gesellschaftsordnung beinah untreu (hier ist die dünne Stelle des Buches), er fängt ein Verhältnis an – wie unerotisch ist das gezeichnet! –, verbummelt beinahe, demütigt sich vor kleinen Mädchen, möchte gern, kann nicht und redet sich daher ein, nicht mehr zu möchten, findet wieder nach Hause zurück und bleibt da, wo wir ihn angetroffen haben. Babbitts Frau wird krank, Babbitts Frau, mit der er sich gar nicht mehr gestanden hat die letzten Monate hindurch, weil sie alt und schlaff und fett geworden ist und die Andre vielleicht jünger schien, weniger schlaff, dünner – und überhaupt die Andre ist. Die Krankheit treibt die beiden wieder zusammen. Und wie die alte Frau auf ein Mal und trotz Allem wieder ein Kind wird, seine Hand ergreift und vor der Operation die sicherlich nicht gut übertragbare Romanphrase sagt: »Ich fürchte mich, so ganz allein ins Dunkel hineinzugehen« – da liegen leise Lächerlichkeit und leise Liebe so eng bei einander, dass man erst merkt, wer dieses Buch geschrieben hat. Und Babbitt weiß, dass es nun aus ist mit seinen Eskapaden, und dass er bei ihr bleiben wird bis zum letzten Tag. Das hört sich so an: »Grimmig erkannte er, dass dies sein letzter verzweifelter Ausbruch gewesen war, bevor er sich in die schwerfällige Zufriedenheit des Alterns schickte. ›Na,‹ und hier grinste er boshaft, ›es

Weitere Kostenlose Bücher