Pantoffel oder Held?: Roman (German Edition)
Schluchzen verschlucke und mit hochrotem Kopf nach Luft ringe, fragt Fabian allen Ernstes, ob ich okay bin.
»Nein«, greine ich und huste ihm ins Gesicht, »ich … bin … a-a-ahalles andere als okay!« Ich wünschte, ich würde ein bisschen Haltung bewahren. Ich wünschte, ich wäre in der Lage, meinen Heulkrampf zu stoppen. Oder wenigstens so lange zu unterbrechen, bis ich den untreuen Kerl vor die Tür gesetzt habe. Jede Woche hat er mich mit einer anderen betrogen. Das sind, wenn mich meine Rechenkünste nicht aufgrund des vorübergehenden Nervenzusammenbruchs verlassen haben, an die siebzig Frauen. Unsere gemeinsamen Urlaube mal abgezogen. Obwohl ich natürlich keine Ahnung habe, was er da so getrieben hat, sobald ich ihm den Rücken zugewendet habe. Ich frage mich, wo es in Hamburg siebzig Frauen gibt, die bereit sind, mit einem Wildfremden rumzuvögeln. Mit einem Mal versiegt mein Tränenstrom. »Fabian.«
»Äh, ja?«
»Kann es sein, dass diese Frauen«, ich zwinge mich, das nächste Wort nicht herauszuschreien, »Nutten waren?«
»Manchmal schon, ja«, gibt er zu, und ich fühle absurderweise einen Anflug von Erleichterung. Nicht, dass es toll wäre, dass mein Freund zu Nutten geht. Aber irgendwie missgönne ich es ihm, die Art Mann zu sein, die nur mit dem Finger schnippt und schon liegen die Frauen ihm reihenweise zu Füßen. Schlimm genug, dass ich ihm zu Füßen gelegen habe. Ich blöde Kuh. Ich weiß, es ist an der Zeit, den Herrn aus der Wohnung und meinem Leben zu befördern. Aber alleine der Gedanke daran löst eine erneute Schluchz-Attacke aus. Fabian hält mir die Kleenexpackung hin, und ich reiße sie ihm aus der Hand.
»Dassssu isssssi nichedach wesn«, heule ich und will damit ausdrücken, dass die Schachtel leer sein könnte, wenn er sich seinen Sex zu Hause gesucht hätte, anstatt auf irgendwelchen unappetitlichen Toiletten.
»Wie bitte?«
»Issseeegaaal!« Ich schnäuze mich lautstark. »Isallesegal!« Wider Willen sinke ich in Fabians Arme und weine an seiner Brust. Nach zehn Minuten bin ich endlich leer geweint und rücke ein Stück von ihm ab. Sehe ihm in die Augen. Er sieht elend aus. Gut so. »Warum erzählst du mir das?«, frage ich. Er zuckt mit den Schultern.
»Ich dachte immer, mit mir stimmt irgendetwas nicht. Aber nachdem ich dieses Testergebnis gelesen hatte …« Ich halte den Atem an.
»Ja?«
»… na ja, irgendwie macht es plötzlich Sinn, oder findest du nicht? Wenn wir rein genetisch nicht so gut zusammenpassen, dann ist es doch ganz logisch, dass ich sexuelles Interesse an anderen Frauen habe. An Frauen, die kompatibler mit mir sind als du. Das ist eben von der Natur so vorgesehen. Versteh das nicht falsch, ich hab dich lieb. Aber eben mehr so, wie man eine Schwester lieb hat.«
Na also, denke ich fünf Minuten später, als ich Fabian, der mit verwirrtem Gesichtsausdruck und nur mit seinem Sommermantel über dem Schlafanzug, im Treppenhaus steht, die Wohnungstür vor der Nase zuknalle. Da habe ich also doch noch einen Rest Würde im Leib. Was zu weit geht, geht zu weit. Jetzt soll ich also schuld daran sein, dass der Herr alles vögelt, was nicht bei drei auf den Bäumen ist. Ich und meine MHC-Gene, wenn man es genau nimmt. Ich kann mich nur schemenhaft daran erinnern, was passiert ist. Offensichtlich habe ich Bärenkräfte entwickelt, denn Fabian ist zwar nur einen Zentimeter größer als ich, aber normalerweise um einiges stärker. Was mich nicht daran gehindert hat, ihn aus der Wohnung zu schmeißen. Jetzt lehne ich mich wie betäubt gegen die Wand und versuche zu begreifen, was eben geschehen ist. Wie eine Schwester! Was fällt dem ein? Brüderchen hat mittlerweile den Schock überwunden und wummert lautstark an die Tür. Dann klingelt er Sturm. Ich gehe ins Bett, stecke mir Stöpsel in die Ohren und weine mich in den Schlaf.
Kapitel 5
Am nächsten Tag melde ich mich krank, und so, wie ich mich am Telefon anhöre, glaubt mir meine Etat-Direktorin sofort, dass ich mir eine schwere Grippe zugezogen habe.
»Dann gute Besserung, Frau Martens. Sagen Sie Bescheid, wenn Sie absehen können, dass es Ihnen besser geht!«
»Ja, danke«, näsele ich ins Telefon und denke gleichzeitig, dass das bestimmt in diesem Leben nicht mehr der Fall sein wird. Eine Woche lang weine ich ohne Unterbrechung. Dann endlich kommt mir die Erkenntnis, dass der Mistkerl so viele Tränen gar nicht wert ist, und ich rufe Lydia an, die mir sofort zur Seite eilt, obwohl sie im Krankenhaus
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