Pantoffel oder Held?: Roman (German Edition)
starke emotionale Bindung zu diesem Raum hätte, fände ich ihn wahrscheinlich einfach nur scheußlich. Das klobige Ledersofa in Dunkelbraun, der Couchtisch aus dickem, schwarzem Marmor, die mächtige Schrankwand aus Eichenholz sind durchaus dazu geeignet, einem klaustrophobische Anfälle zu bescheren. Merkwürdigerweise ist bei mir das Gegenteil der Fall, ich fühle mich spürbar freier.
»Hallo Opa Hinrich«, begrüße ich meinen Großvater, der es sich nicht nehmen lässt, sich mit krachenden Knien von seinem Ledersessel zu erheben, um mich zu begrüßen. »Bleib doch sitzen.«
»Nein, nein, das kommt gar nicht in die Tüte. Tach, min Deern.« Er gibt mir einen Kuss und lässt sich erleichtert zurücksinken. »Wo hast du denn deinen Fabian gelassen?«
Noch bevor ich antworten kann, tritt Omi Anni von hinten zu uns heran und legt mir eine Hand auf den Rücken. »Ich fürchte, der kommt wohl nicht mehr. Oder, Franzi?«
Ich bin nur eine Sekunde lang erstaunt, dass sie mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen hat. »Nein, er kommt nicht mehr.«
»Ach, Schätzchen.«
»Ist schon gut«, wehre ich ab und setze mich schnell auf die Couch, um ihren Streichelattacken zu entgehen, die natürlich lieb gemeint, aber im Moment für mich schwer zu ertragen sind. Wenn mich schon ein Beatles-Song aus der Fassung bringen kann, will ich mir lieber nicht vorstellen, was großmütterliches Mitgefühl auslösen könnte. »Ist besser so.«
»Aber was ist denn bloß vorgefallen?«
»Kann ich Tee haben, bitte?«, frage ich und halte ihr die weiße Porzellantasse mit dem Goldrand entgegen. Kopfschüttelnd sieht sie mich an.
»Franzi …«
»Ist das Rotbusch?«
»Franzi …«
»Aromatisiert oder pur? Ich mag ja am allerliebsten Vanille. Allerdings habe ich zu Hause jetzt Marzipan, das ist auch nicht zu verachten.«
»Schon gut.« Meine Omi seufzt und schenkt mir Tee ein. »Wir haben es ja verstanden. Du willst offensichtlich nicht darüber sprechen.« Ich schüttele heftig den Kopf.
»Nein. Will ich nicht.«
»Das akzeptieren wir natürlich. Aber wenn du so weit bist, dann weißt du hoffentlich, dass du bei uns auf offene Ohren stößt.«
»Werde ich mir über die Ohren schreiben«, grinse ich.
»Was du manchmal für einen Blödsinn redest.« Nachsichtig lächelnd schüttelt Omi den Kopf, während mein Großvater und ich uns auf die Lippen beißen müssen. Bei der nächsten Eröffnung vergeht mir allerdings das Lachen: »Emma kommt übrigens nachher vorbei.«
»O nein«, stöhne ich. Die hat mir heute gerade noch gefehlt. »Und ich nehme an, ihren Göttergatten in spe bringt sie auch mit?« Omi lächelt mich entschuldigend an.
»Ich fürchte, ja.«
»Na toll. Musste das sein?«, frage ich vorwurfsvoll.
»Emma ist unsere Enkelin, und sie kann uns natürlich jederzeit besuchen kommen«, macht sie wie so oft meinen Versuch zunichte, sie auf meine Seite zu ziehen. Auch wenn wir immer ein viel engeres Verhältnis zueinander hatten, weigern sich meine Großeltern strikt dagegen, sich in den ewig währenden Kleinkrieg zwischen meiner Schwester und mir hineinziehen zu lassen. Was natürlich der einzig vernünftige Weg ist. Mein erwachsenes Ich weiß das auch ganz genau. Dummerweise übernimmt aber jedes Mal, wenn es um Emma geht, die Achtjährige in mir das Kommando.
»Menno«, sage ich und schiebe die Unterlippe vor.
»Pflaumenkuchen?« Ungerührt hält Omi mir die Kuchenplatte hin, und ich gebe es auf zu schmollen.
»Ja. Danke.«
»Versuch doch heute ausnahmsweise mal, ein bisschen nett zu sein. Hm? Was meinst du?«
»Aber sie ist auch nie nett zu mir!«
»Einer muss den Anfang machen. Du wirst sehen: Wie du ins Glashaus hineinrufst, so schallt es auch heraus.«
Sie hat ja recht. Kuchen essend nehme ich mir fest vor, Emma und Julius ausnahmsweise mal vorurteilsfrei zu begegnen und mich auf ihre positiven Seiten zu konzentrieren. Zum Beispiel könnte es sich durchaus als nützlich erweisen, dass die beiden ständig nur um sich selbst kreisen. So wird Fabians Fehlen wahrscheinlich gar nicht auffallen.
Zehn Minuten später stöckelt Emma auf zehn Zentimeter hohen Absätzen ins Zimmer. Sie sieht wie immer toll aus. Perfekt geföhnter, kinnlanger Bob, dezentes Make-up und ein sportlich-elegantes Outfit ohne eine einzige Knitterfalte.
»Gut siehst du aus«, zwinge ich mich zu sagen und tausche Wangenküsschen mit ihr.
»Danke.« Sie mustert mich mit genau dem gleichen Blick, den meine Mutter immer draufhat. »Du wirkst
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