Papa ante Palma
Und die Winter seien früher auch milder gewesen, barmherziger, kürzer.
»Schön, dass der Klimawechsel ziemlich genau mit unserer Ankunft auf diesem Eiland zusammenfällt«, antworte ich dann scherzhaft, aber eigentlich finde ich das eher subkomisch.
Als ich die Haustüre aufschließe, klingelt bereits das Telefon. Klitschnass renne ich hin. Deutschland, ein Kunde aus der Kölner Zeit. Es geht um den Jingle für Zahnarztzubehör.
»Wir haben uns entschlossen, das Projekt nach hinten zu verschieben, der Krise wegen. Das können Sie sicher verstehen«, sagt Herr Brauner, der Verantwortliche fürs Marketing. »Natürlich haben uns Ihre Layouts sehr gut gefallen, sie sind modern und nicht zu abgegriffen, aber wir müssen zurzeit andere Prioritäten setzen«, fügt er hinzu.
»Natürlich, verstehe«, sage ich und merke, wie mir das Wasser vom Handrücken in den Ärmel läuft. »Wiederhören und bis bald, Herr Brauner.«
Das war jetzt schon die dritte Absage in nur zwei Wochen. Vielleicht liegt es doch daran, dass ich so weit weg vom Markt bin. Wenn es so weiterläuft, werde ich über kurz oder lang einen anderen Job suchen müssen.
Positiv denken!, ermahne ich mich. Das habe ich für viel Geld in Managerseminaren und umsonst von ein paar Freunden mit unverwüstlicher Frohnatur gelernt. Qualität setzt sich durch. Gut, Qualität und Freundlichkeit. Okay, Qualität, Freundlichkeit und vernünftige Preise. Das ist das Triumvirat des Erfolges. Daran habe ich immer festgehalten. So auch jetzt.
Ich ziehe die nassen Sachen aus und entzünde einen der Gasöfen. Ernüchtert stelle ich fest, dass er kaum wärmt, dafür aber die Raumluft unangenehm andickt. Besser als nichts, denke ich und mache es mir bequem.
Zehn Wochen und unzählige Gasflaschen später. Eine unbedeutende Nacht Anfang Januar.
Ich habe die Zwillinge ins Bett gebracht, nachdem sie sich vor Kälte heulend die Zähne geputzt und einen Meter vorm Gasofen bibbernd den Schlafanzug übergestreift hatten. Danach bin ich runter ins Wohnzimmer gegangen, habe einen anderen Gasofen sowie den Laptop angemacht, meine E-Mails gecheckt und mir ein paar Videos von Django Reinhardt, Steve Morse und George Benson bei youtube angesehen. Habe dann den Ofen in die Küche geschoben und einen Salat geschnibbelt. Bin daraufhin mit einem Tablett, auf dem ich den fertigen Salat, zwei Teller, Besteck, Gläser und eine Flasche Rotwein platziert hatte, ins Wohnzimmer zurück. Musste erneut in die Küche, um den Ofen zurück ins Wohnzimmer zu schieben. Bin auf das rote Sofa geplumpst, habe mir eine Gitarre genommen, ein paar schlampige Flamenco-Akkorde gespielt und auf Lucia gewartet.
Als sie um Mitternacht noch nicht hier, sondern offensichtlich noch im Büro war, habe ich die Gitarre weggestellt, ein wenig von dem Salat und dafür umso mehr von dem Wein gekostet und den Ofen ausgemacht. Nach einem kurzen Besuch im Bad bin ich geradewegs ins Schlafzimmer gegangen, habe mir einen warmen Schlafanzug angezogen und mich ins Bett gelegt, um in den gähnend langweiligen Memoiren einer Zwillingsmutter zu stöbern. Nach nicht mal einer Seite, die ich wieder und wieder von vorn beginnen musste, bin ich eingeschlafen.
Jetzt bin ich wach. Ich bin wach, weil mich gerade irgendwas in beide Ohren gestochen hat.
Schläfrig schalte ich die kleine Nachttischlampe an, um nachzusehen, ob es ein Tier war oder gar Lucia, die mir einen Streich spielte. Der Wecker zeigt vier Uhr morgens. Ich blicke zu Lucia hinüber, die zwischenzeitlich von der Arbeit nach Hause gekommen und sich leise in ihr Bett geschlichen haben muss. Sie schlummert friedlich auf ihrer Bettseite. Ein Insekt ist bei Licht allerdings auch nirgends zu sehen. Dann jedoch fällt mir etwas Eigenartiges auf. Mein Atem kondensiert zu silbrigem Dampf, der langsam aus dem Lichtkegel emporsteigt und sich schließlich im Raum verliert. Außerdem schmerzen meine Ohren immer noch so sehr, als würde ich in einer eiskalten Januarnacht durch einen deutschen Wald joggen.
Ein Blick auf eines der drei Thermometer, die ich bei Joan Carles gekauft habe (er musste sie extra in Barcelona telefonisch bestellen), bestätigt mir, was ich für unmöglich gehalten habe. In unserem Schlafzimmer sind es ganze fünfeinhalb Grad. Bei geschlossenen Fenstern und Türen, versteht sich. Das ist im Prinzip so, als würden wir auf der Straße schlafen.
Leise stehe ich auf, schleiche auf den eiskalten Fliesen zum Kleiderschrank und ziehe mir einen Kapuzenpulli
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