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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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Bluessänger.«
    Jaume nickt. »Schön, dass du gekommen bist«, sagt er, nimmt mir den Verstärker aus der Hand und geht voran.
    Meine Lust sinkt gegen null. Musizieren ist eine technische, vor allem aber eine soziale Herausforderung, bei der jeder das eigene Ego zugunsten einer höheren Sache zurückstellen muss. Die Grundbedingungen für diese Rückstellung sind Sympathie, Empathie und Respekt den anderen Musikern gegenüber. Nichts davon verbindet mich mit Jaume, dem Raser, Luzifer, Frauenschwarm, Extremsportler und Fernsehmann. Schon gar nicht, nachdem er den Kindern Ballons gekauft und mit Lucia geflirtet hat.
    Am liebsten würde ich umkehren, doch Jaume ist mit meinem Verstärker bereits im Proberaum verschwunden. Okay, sage ich mir, eine Session. Ein Versuch. Wenn er sich auch nur irgendwie doof anstellt, nicht singt wie Luther Allison oder nicht weiß, was ein Turnaround ist, beende ich die Unternehmung. Sofort. Dann kann er schön alleine weiterjammern, ohne Begleitung. Ich gehe ihm also hinterher.
    Der Proberaum ist zu meiner Überraschung recht schmuck. Kühlschrank, Klimaanlage, Sofa, Schallabsorber, ein Poster von Stevie Ray Vaughan, eine kleine Gesangsanlage, zwei Mikros und ein Laptop mit Recordingsoftware.
    »Wow, du hast es dir hier aber nett eingerichtet. Ziemlich professionell«, sage ich.
    »Meine Höhle. Hierhin ziehe ich mich zurück, wenn es mir da draußen zu viel wird.«
    »Aha?«, frage ich, ohne eine Antwort zu erwarten. Ich hole die Gitarre aus dem Gigbag, stimme sie kurz und stöpsele das Verstärkerkabel an.
    Jaume schaut kurz auf den Gitarrenkopf, auf dem die Marke steht, und hebt die Daumen. » Muy buena, die ist sehr gut.«
    Ich bin baff, denn kaum jemand kennt den kleinen Gitarrenbauer aus dem Taunus. Nur Insider.
    »Willst du ein Bier?«, fragt Jaume.
    »Gerne.«
    Er öffnet den Kühlschrank und wirft mir eine Dose herüber. Irgendwie sieht er heute anders aus. So normal. In Jeans und Pullover wirkt er eher wie aus einem Fernsehspot für Mobilfunkwerbung.
    »Okay, was spielen wir?«, frage ich und nehme einen großen Schluck.
    »Kennst du ›Born Under a Bad Sign‹?«
    »Klar.« Kurz überlege ich, ob das eine Anspielung sein soll. »Welche Version? Eher Albert King, Cream oder Hendrix? Was darf’s sein?«
    Jaume stockt. Dann grinst er. »Sieh mal einer an, was sich da für Juwelen im Kindergarten tummeln.«
    Jetzt fällt mir wieder ein, dass er mir vor ein paar Monaten am Eingang zum Hort über den Weg gelaufen ist. Sicher hat er damals den Zettel ans Schwarze Brett gehängt.
    »Ich habe meiner Mutter immer gesagt, dass der Blues überall ist.«
    »Deiner Mutter?«
    »Ja, sie ist eine absolute Expertin und singt auch recht passabel, wenn sie nicht gerade in dem Backshop in Palma arbeitet.«
    Gema, schießt es mir durch den Kopf. Jaume ist Gemas Sohn, den ich immer mal kennenlernen sollte. Unfassbar.
    »King, wenn’s recht ist, in D.«
    »Okay«, sage ich etwas verdattert, zähle an und spiele den Bläser-Auftakt auf der Gitarre.
    Dann steigt Jaume ein. Seine Stimme ist voll und kräftig, ohne aufdringlich zu wirken. Er arbeitet gut mit den Pausen, lässt sich und dem Hörer Zeit, ohne die Wortendungen mit Melismen zu verkleistern und dem Song so jeglichen Atem zu nehmen. Sicher, sein Englisch ist alles andere als akzentfrei, aber ich bin begeistert. Das habe ich nicht erwartet. Jaume, der Oberteufel, entpuppt sich als geschmackvoller Bluessänger. Zu allem Überdruss zaubert er plötzlich eine Mundharmonika hervor. Wild, aber stets mit kontrollierten Vibrato, rattert er die wunderbarsten Bluesphrasen herunter. Es klingt jetzt schon zu gut, als dass ich ihn hundertprozentig hassen könnte. Irgendwas an ihm muss ich mögen. Jedenfalls meiner Theorie zufolge.
    Dann noch einmal das Thema mit Gesang. Schlussakkord. Aus.
    Die Stille nach dem Song. Sie ist offenbar länderübergreifend. Als ob man den letzten Tönen noch gestatten wollte, den Raum in Würde zu verlassen, und erst wieder zu sprechen wagte, wenn das Lied sich weit genug vom Probenraum entfernt hat, irgendwo auf seinem Weg in den Äther.
    » Cantas muy bien , du singst gut«, sage ich. Ich muss vorsichtig sein. Mein Widerstand Jaume gegenüber ist im Begriff, sich in gemäßigte Sympathie zu verwandeln.
    »Du bist aber auch nicht übel«, sagt er und macht sich noch ein Bier auf.
    Wir spielen und trinken bis in die Nacht. Einen Bluesklassiker nach dem anderen. Jaume kennt sie alle. Er kennt sie sogar fast besser als ich,

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