Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
Vom Netzwerk:
glaubt. Bei genauerer
Betrachtung ähnelt das Ganze allerdings eher einem Blauschimmelbelag, der sich
über die Jahre auf dem Putz breitgemacht hat.
    Ich schelle. Prompt öffnen uns gleich zwei
Frauen.
    »Hola, soy Maria
José« , brüllt mich die kleinere der beiden in Konzertlautstärke an.
Offensichtlich hat sich ihr Sprachapparat jobbedingt über die Jahre prächtig
entwickelt.
    Maria José, übersetzt Maria und Josef, ist ein
mütterlicher Typ. Sie hat strahlende, gütige Augen und trägt einen gestärkten
ärmellosen Kittel, aus dem ihre teigigen Oberarme herausquellen. Man fühlt sich
bei ihr auf Anhieb so geborgen wie bei der Wurstverkäuferin, die einem als Kind
eine Scheibe Fleischwurst gereicht hat.
    Fast hätte ich daher aus dem Reflex heraus
gesagt: »Ich hätte gerne fünfhundert Gramm Kalbsleberwurst und ein Viertel Pfund
Schweinskopfsülze.« Stattdessen bringe ich keinen Ton heraus.
    Da sagt die andere Frau: » Hola, yo también soy Maria José , ich bin auch Maria und Josef.«
    Die beiden lachen. Man merkt dem Lachen eine
leichte Mühe an, als handele es sich um einen überstrapazierten Scherz.
Vermutlich haben sie diese Szene schon eintausend Mal durchlebt. Der Einfachheit
halber werde ich die Frauen durchnummerieren.
    Maria und Josef 2 ist im Gegensatz zu Maria und
Josef 1 weniger kastenförmig, sondern verjüngt sich eher birnenförmig in
Richtung Kopf. Für eine spanische Frau ist sie riesig und fällt zudem durch die
lange, spitze Nase auf, auf der eine Hornbrille mit schwindelerregend starken
Gläsern sitzt, überdacht von einem gegelten Kurzhaar-Rasen in Vinylschwarz.
    Ich versuche an ihnen vorbeizuspähen, kann aber
nicht viel von dem Hort sehen. Direkt hinter ihnen befindet sich eine zweite,
verschlossene Tür, hinter der gedrosseltes Gebrüll hervordringt.
    » Bueno , ich wollte
mich nur kurz vorstellen«, sagt Maria und Josef 2 und verschwindet durch eben
jene Tür.
    »Das sind also Sophie und Luna. Zwillinge! So
etwas Herrliches! Deine Frau Lucia hat uns bereits informiert«, röhrt Maria und
Josef 1.
    »Si« , sage ich und
will eintreten.
    »Leider kann ich dich nicht mit reinlassen«, sagt
Maria und Josef 1.
    Ich bin verblüfft und verstehe gar nichts mehr.
»Wie bitte?«
    » Pues , wir haben die
Erfahrung gemacht, dass eine abrupte Entwöhnung von den Eltern für alle
Beteiligten am besten ist. Du kannst die Kinder um zwei Uhr wieder abholen«,
erklärt sie mir so laut, dass die nächsten vier Straßenzüge auch noch mithören
können. Im Zeitlupentempo formt sie dabei mit dem Mund alle erdenklichen
geometrischen Figuren und rudert asynchron mit den Armen.
    Fast hätte ich die Kinder einfach abgestellt und
wäre ihr blind in den Hort gefolgt. Für immer. Aber Sophies Geschrei erinnert
mich daran, dass es ausnahmsweise einmal nicht um mich geht. Ich lade Maria und
Josef 1 nacheinander die Zwillinge auf die massigen Arme.
    »Bis dann.« Sie dreht sich um und öffnet kurz die
zweite Tür, was mit beiden Kindern im Gepäck gar nicht so einfach ist.
    »Papaaa!«, jaulen die Mädchen, die gar nicht
wissen, wie ihnen geschieht, und die Arme über den Rücken von Maria und Josef 1
hinweg nach mir ausstrecken.
    »Papa kommt ja gleich wieder, ihr Süßen.«
    Es hilft nichts. Da verschwindet die mollige
Erzieherin mit den plärrenden Kindern auch schon hinter der Tür. Ich muss erst
mal tief Luft holen. Ganz so abrupt habe ich mir den Abschied nicht
vorgestellt.
    Für ein paar Sekunden kann ich nun doch sehen,
was drinnen vor sich geht. Gleich hinter der Tür ist ein Gatter, an dem
mindestens zehn Kinder stehen, darunter Latinos, Afrikaner und Spanier, die mit
beiden Händen die Gitterstäbe umklammern und brüllen, was das Zeug hält. Dann
sind da noch ein paar winzig kleine Baby-Fuzzis, die noch nicht laufen können.
Die Erzieherinnen haben sie einfach im Kinderwagen liegen lassen und in die
tobende Meute der Kleinkinder geschoben. Nun bilden die regungslosen Maden einen
eigenartigen Kontrapunkt zu dem wilden Gebalge der mobilen Infanterie. Wie ein
Kannibalenstamm springen die Älteren um die Wägen mit den Neugeborenen herum und
plärren wildes Zeug hinein.
    Für einen Moment fühle ich mich an das
Pflegestift erinnert, in dem ich mal ein Sozialpraktikum gemacht habe. Die alten
Menschen wurden einfach im Rollstuhl vor den Fernseher im Gemeinschaftsraum
geschoben, wo dann das Kinderprogramm mit Tom &
Jerry lief, gefolgt von Glücksrad und Der Preis ist heiß . Irgendwann, wenn beinahe
alle in

Weitere Kostenlose Bücher