Papa ante Palma
Momente, für die man lebt. Momente mit langem Abgang, die nicht so schnell im Treibsand der Zeit versickern und lange dem Durchsatz an täglichem Informationsmüll trotzen. Sie bleiben nicht nur als Bild erhalten, sondern auch als Gefühl. Dennoch merke ich: Die zwei Wochen, in denen ich auf mich gestellt war, waren offensichtlich eine lange Zeit, denn ich muss erst wieder ein bisschen in die Papa-Nummer reinkommen.
Leicht benommen folge ich Lucia und den Kindern in die Wohnung. Sie ist klein. Halb so groß wie unser Zuhause in Köln. Steinboden. Die Klimaanlage, die bei Bedarf auch warme Luft erzeugen kann, röhrt über dem Türrahmen. Dafür haben wir eine große Terrasse zum Innenhof, die mir Lucia gleich zeigt. Nach dem Flug und der Bustour bin ich ziemlich erschöpft und, ja, auch etwas enttäuscht über diesen Klotz, in dem wir nun wohnen.
Zurück in der Wohnung, kämpfe ich mich durch mehrere Stapel von Umzugskartons und öffne demonstrativ das Fenster im Kinderzimmer, um einen Blick in die Straßenschlucht zu werfen. Ein polyphones Hupkonzert, eingebettet in einen basslastigen Dröhnteppich, dringt herein. Die Fensterscheiben vibrieren, als unten ein riesiger Lastzug vorbeirauscht, dessen Anhänger ein gigantisches Ei mit Armen und Augen ziert. Das Ei kneift ein Auge zusammen und schnippt mit der linken Hand. Daneben ein Text, den ich mühelos lesen kann, auf Deutsch etwa: »Eiernudeln … und die Sache läuft!« Irgendwie hatte ich mir Palma romantischer vorgestellt.
»Das nennst du eine etwas größere Straße in der Nähe? Ich nenne das einen Großstadt-Highway direkt vor unserem Fenster!«, sage ich zu Lucia.
»Ja doch, ich hatte eben keine Zeit, was anderes zu suchen. Ist ’ne Übergangslösung.«
»Eine Übergangslösung? Wir sollen über hundert Umzugskartons auspacken, um in ein paar Monaten wieder von vorne anzufangen?«
Ich sehe mich um. Verschiedene Insekten liegen rücklings im Staub auf der Fensterbank. »Okay, wir können keins dieser Fenster zur Straße jemals öffnen, wenn wir wollen, dass die Kinder ihren zweiten Geburtstag noch erleben. Das dürfte feststehen. Sonst noch was, das ich wissen sollte?«
Lucias Unterlippe fängt leicht an zu zittern, man sieht ihr die Anspannung an. Neuer Job, ein fremder Babysitter und vierzehn Tage mit zwei schreienden Kindern auf einer Matratze in einer ansonsten leeren Wohnung. Schon tut es mir leid, dass ich so heftig reagiert habe.
» El Presidente will gleich mit dir reden«, sagt sie.
»Der Präsident? Was für ein Präsident?«
»El presidente de la comunidad!« , sagt Lucia.
»El presidente de la comunidad« , wiederhole ich. In meinem Kopf rattert es. Gut, langsam. Nachdenken. »El presidente« ist der Präsident, und »comunidad« heißt Gemeinde. Ergo müsste es sich um den Gemeindepräsidenten handeln.
»Der Gemeindepräsident?«, frage ich mit einem gewissen Stolz auf meine Kombinationsgabe.
Keine Antwort.
»Von der Gemeinde Palma? Also der Bürgermeister, oder was jetzt? Wieso war der überhaupt da?«
»Ja, das ist die wörtliche Übersetzung, aber er ist mehr der Vorsteher der Hausgemeinschaft«, erklärt mir Lucia geduldig.
»Der Hausmeister?«
»Nein, eine Art gewählter Verwalter. Er wird für jedes Mehrparteien-Haus bestimmt. In unserem Fall ist es der Sohn der Vermieterin.«
»Was will nun dieser seltsame Präsident von mir?«
Lucia seufzt und streicht sich eine lange, dunkle Haarsträhne, die sich aus ihrer Frisur gelöst hat, hinters Ohr. »Er war schon zweimal hier, jede Woche einmal. Wegen der Kinder. Er sagt, so gehe es nicht weiter. Er möchte mit dir reden.«
Im Treppenhaus riecht es nach Chlor. Überall ist Marmor verbaut, oder zumindest ein Marmorimitat. Ich stehe vor der mächtigen Eichentür des Präsidenten, und schon die Tür kommt mir irgendwie unfreundlich vor. Sie ist viel größer als unsere und lässt dahinter mehr auf eine imposante Eingangshalle, denn auf einen simplen Flur schließen. Die handgedrechselten Ornamente des Portals gehen in dem finsteren Anstrich des Holzes schlicht unter. Als ich den schweren Messingring vor mir anhebe, um ihn gegen das imposante Tor zu schlagen, geht das Licht im Treppenhaus aus. Zeitschaltuhr. Im Dunkeln scheint der Türklopfer in einem finsteren Loch zu hängen. Es könnte aber genauso gut ein schwarzer Minotaurus sein, den ich gerade an seinem schmiedeeisernen Nasenring ins Treppenhaus ziehe.
Tumm! Tumm!
Schwer und träge wabert der Schall durchs Treppenhaus.
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