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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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jedem
heruntergefallenen Spielzeug und jeder Quengelei der Mädchen sofort an ihn
denken.
    Kaum landet ein Plastikteller beim Frühstück auf
dem Boden, sehen wir Pau unten in seinem Eichenbett wie ein Klappmesser
hochschießen, die Schlafbrille abnehmen und seiner Frau zuzischen: »Unglaublich!
Was machen diese Deutschen denn da? Hammerwerfen?« Spielen die Zwillinge abends
Fangen oder zerren sie einen Puppenwagen durchs Wohnzimmer, sehen wir Pau, wie
er in seinem Ohrensessel sitzt und die sehnigen Waden in den Teppich stemmt.
Poltern wir morgens durchs Treppenhaus, klebt Pau am Spion, und wenn ich Gitarre
übe, wer geht da ein Stockwerk tiefer kopfschüttelnd auf und ab und lamentiert:
»Das ist doch keine Musik!«? Klar: Pau.
    Mit diesem Mann bricht für mich gleich am Anfang
unseres Mallorca-Abenteuers eine kleine Welt zusammen. Nicht nur, dass er uns
das Leben zur Hölle macht, nein, er wirft auch meine langgehegten Klischees,
dass die Spanier lockere, entspannte und tolerante Sonnenmenschen sind, völlig
über den Haufen. Das hier hat eher den Geruch von Schrebergartenkolonie und
Waldhornkapelle. Und Pau ist überall: In dem fünfstöckigen Haus nimmt er allein
drei Geschosse in Beschlag für Labor, Lager und Wohnung. Es ist sein Haus, und
obendrein ist er der Präsident der Hausgemeinschaft – auf Lebenszeit. Zu
seinem Verdruss hat seine Mutter im dritten Stock ein nettes argentinisches
Studentenpaar einziehen lassen, die den ganzen Tag kiffen und Manu Chao hören.
Sie nennen Pau schlicht el enfadado  – den
Griesgram.
    Es ist wie verhext, denn sobald der
allgegenwärtige Pau in unserer Vorstellung gerade dabei ist zu verblassen, ruft
sich der echte Pau durch einen Besuch oder eine Nachricht in unserem Briefkasten
in Erinnerung. Das Pau-Muster ist immer gleich: Es klopft. Pau steht im
Freizeitdress vor mir. » Por favor , so geht das doch
nicht! Diese Kinder!«
    Einmal hat er uns sogar ernsthaft beschuldigt,
seine Ehe zu gefährden. Er würde mittlerweile schon nicht mehr mit seiner
besseren Hälfte ausgehen, da an ein Ausschlafen am nächsten Morgen nicht zu
denken sei.
    Ist er mit seinem Lamento fertig, spule ich
meinen immer gleichen Text ab, der da lautet: »Gehen Sie doch zu Ihrer Frau Mama
und beschweren Sie sich. Die hat uns die Wohnung schließlich vermietet, wohl
wissend, dass zwei kleine Kinder eben auch Lärm bedeuten. Außerdem frühstücken
wir an den Wochenenden Ihretwegen extra auf der Terrasse und haben mehrere
Teppiche ausgelegt. Wenn Ihnen das nicht genügt, können Sie ja ausziehen.« Dabei
lasse ich absichtlich jedes Mal weg, dass ich die letzten Nächte auf einer
Isomatte vor der Tür des Kinderzimmers verbracht habe. Das alles nur, weil die
Zwillinge zuvor zwanzigmal versucht haben, zu uns ins Bett zu steigen, und ich
sie immer wieder unter unerträglichem Geheul zurückgebracht habe.
    Ich würde Pau nur zu gerne mal einen Wert aus
meinen Dezibeltabellen zu seinem eigenen Lärmpegel unter die Nase halten, aber
meine Feldforschungen diesbezüglich sind leider völlig erfolglos geblieben.
Bisher habe ich nicht das leiseste Geräusch aus seiner Wohnung wahrnehmen
können. Seltsam. Selbst dann nicht, wenn ich ein Ohr so fest es geht auf die
Steinfliesen presse oder im Treppenhaus vor seiner Tür kurz verharre.
Nichts.
    »Du führst dich schon genauso auf wie er«, hat
Lucia neulich erst beim Abendessen zu mir gesagt.
    Spießer-Magie, habe ich gedacht und geantwortet:
»Man muss selbst zum Spießer werden, will man andere Spießer überführen.«
    Hinter der Ruhe muss etwas anderes stecken, etwas
Düsteres, denke ich jetzt. Meine Theorie: Pau hat seine Frau und seine Töchter
vor Jahren in Lauge aufgelöst und wahrt nach außen den Schein einer glücklichen
Familie. Wenn er im Labor Feierabend macht, rennt er die Treppe hoch, wirft sich
in die Klamotten seiner Frau und kocht sich Grünkohl mit Pinkel. Im
Goofy-Schlafanzug seiner Töchter zieht er sich dann amerikanische Vorabendserien
rein, derweil seine Liebsten zwei Stockwerke tiefer in Kanistern hin und her
schwappen.
    Ich laufe gerade auf der Suche nach Windeln durch
die Wohnung, als es klingelt. Die Twins haben mal wieder den Rekord im
Synchronkacken gebrochen. Das kann nur Pau oder die Post sein, denke ich und
spurte den Flur entlang, verfolgt von den quengelnden Mopsmonstern, die sich
müffelnd, müde und miesepetrig an meine Waden heften.
    Als ich die Tür öffne, steht wider Erwarten ein
Mann vor mir, der aussieht wie eine

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