Papa ante Palma
Kurz darauf öffnet sich die Tür lautlos und gibt den Blick in einen schummrigen, hallenartigen Gang frei, an dessen Wänden riesige Gemälde über reichverzierten Kommoden prangen. Auf dem Boden schwarzer Marmor. Darauf ein dunkelbrauner Läufer. Darauf ein Mann in einer kurzen braunen Sporthose. Aus dem Gang riecht es stärker nach Chlor als am Kinderbecken eines städtischen Hallenbads. Ich mache das Licht im Flur wieder an.
Der Spanier vor mir hat einen stramm rechts gezogenen Scheitel und sehr hart aussehende, braungebrannte Waden. Sein Gesicht ist scharfkantig, falkenhaft und ebenfalls tiefbraun, die braunen Augen stehen eng zusammen. »Sie wollten mich sprechen.« Mein Gesichtsausdruck, so hoffe ich, ist eine Mischung aus Dolph Lundgren in Rocky IV und Andrej Valuev.
» Si, ich bin der Präsident der Hausgemeinschaft«, antwortet er und schiebt gleich hinterher: »So geht es nicht!« Dabei zieht er die Mundwinkel nach unten.
»Was geht so nicht?«
»Die Kinder! Ich kann seit zwei Wochen nicht mehr ausschlafen. Ab sieben Uhr morgens machen sie einen schrecklichen Lärm. Das geht doch nicht!« Seine Unterlippe kippt beim Reden nach vorne wie die Rückgabeschale eines alten Münzfernsprechers.
»Ich verstehe«, sage ich. »Sie meinen, die Kinder wachen um sieben Uhr auf, laufen in der Wohnung herum und spielen. Alles Dinge, die Kinder nun mal so tun.«
»Das geht so nicht! Ich bin der Präsident!« Empört pocht er an den Türrahmen.
»Was schlagen Sie vor? Wir warten jeden Morgen, bis Sie ausgeschlafen und gefrühstückt haben, dann rufen Sie uns an, lassen zweimal durchklingeln, und wir machen die Kinder los, die wir Ihnen zuliebe gefesselt halten?« Wow, wo kommen all diese Vokabeln her?
»Ich habe auch zwei Töchter«, sagt der Präsident mit gekränktem Unterton. »Sie sind schon etwas älter, aber ich weiß, wie das ist.«
»Dann wissen Sie sicher auch, dass man mit knapp anderthalb Jahre alten Kindern nicht diskutieren kann. Zudem sind unsere sehr lebhaft.«
»So geht es jedenfalls nicht weiter!«, fährt er mich an. »Ihr Deutschen haltet euch sowieso für was Besseres. Ihr kommt auf die Insel, kauft alles auf und meint, ihr könnt euch deshalb aufführen wie die Barbaren. Ihr missachtet unsere Kultur und unsere Sprache.«
»Ich äh … wir kaufen gar nichts. Außerdem ging es doch gerade um die Kinder«, wende ich ein.
»Cuadriculados que sois« , damit lässt er mich stehen und wirft die Tür ins Schloss. Ich drehe mich um und gehe die Stufen wieder hinauf.
»Der Präsident geht ja wohl gar nicht«, beschwere ich mich oben bei Lucia. »Seit wann sind die Spanier Kinderhasser? Das sagt man doch nur den Deutschen nach. Er hat uns als cuadriculados beschimpft. Was soll das heißen?«
Sie zuckt nur mit den Schultern, also nehme ich ein Wörterbuch zur Hand. » Cuadriculado , ich hab’s: kariert, Millimeterpapier steht hier«, murmele ich vor mich hin. »Kariert? Wir Deutschen sollen kariert sein?«
»Vermutlich meint er damit so was wie penibel oder kleinkariert. Es könnte heißen, dass ihr zu schematisch denkt, keinen Platz für Improvisation lasst, eben zu geplant, spießig und festgefahren seid.«
»Ihr? Du hast gerade ihr gesagt.«
Lucia sieht mich an, als hätte ich sie auf frischer Tat ertappt. »Na, dann eben wir«, sagt sie leicht trotzig.
»Das ist doch alles erstunken und erlogen. Nur weil der Typ da unten keine Kinder mag, sind wir jetzt kleinkarierte Landbesetzer, oder was? Ich werde jedes Geräusch aus seiner Wohnung registrieren, und wenn es das Letzte ist, was ich mache!« Um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, haue ich mit der Faust auf den Tisch – wenn auch nordisch kontrolliert. »Wie heißt er eigentlich?«
»Pau. Er ist Chemiker. Unten im ersten Stock betreibt er ein Labor für Lebensmittelhygiene.«
»Tabellen mit Dezibelangaben werde ich erstellen und sie diesem Pau am Monatsende unter die Nase halten! Ich werde mich im Poncho und mit einem Riesensombrero auf den Treppenabsatz setzen, mich schlafend stellen und notieren, wann er mit wem nach Hause kommt. Außerdem, wann er daran denkt, zu kacken, wann er wirklich kackt, wie lange er kackt, ob er beim Kacken liest oder pfeift und wie laut er überhaupt kackt. Ach, was red ich, Kakerlaken werde ich ihm in sein blödes Labor schmeißen …«
»Ganz ruhig«, beschwichtigt mich Lucia und streicht mir über die Hand, »komm mal runter. Ein Krieg nützt hier keinem was. Du bist gerade mal eine halbe Stunde hier.
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