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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Keller
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ein paar stattliche Bodybuilder. Weiter hinten haben die Mitglieder eines Fußballvereins einen Sandwall um die Liegen gebaut, aus dem ein paar Sektflaschen herausragen. Es ist jetzt nur noch eine Frage von wenigen Metern, bis die leeren Sangria-Eimer mit den kilometerlangen Strohhalmen über die Promenade rollen, Frauen aus Remscheid am Miss-Wet-T-Shirt-Contest teilnehmen, Polonaisen aus nackten Menschen juchzend den Strand zerfurchen und einem Männlein wie Weiblein herzhaft in den Schritt packen.
    Noch zwanzig Meter. Der Ballermann sechs unterscheidet sich von den anderen von weitem nur durch einen Zaun aus einer PVC -Plane, mit dem der Gastrobereich eingefasst ist. Vermutlich um das Grauen halbwegs in den eigenen vier Wänden zu halten. Ich löse mich von Lucia, tänzele wie ein Boxer kurz auf der Stelle und laufe mit einem lauten »OleeeOleeeOleeeOleee, we are the champions« und ausgestreckten Armen wie ein Flugzeug um die Plane. Vermutlich stehen ohnehin bereits alle auf den Tischen, und mit meinen gefühlten drei Promille ist mir sowieso alles egal.
    Zu meiner Entgeisterung blicke ich in ungefähr fünfzig teils erstaunte, teils gelangweilte Gesichter von Menschen, die sittsam an den Tischen sitzen, wie bei der Verkaufsveranstaltung auf einer Butterfahrt. Niemand ist nackt, keine Polonaise, keine Eimer. Nichts. Aus der Bar dudelt irgendein alter Gassenhauer von Roland Kaiser. Das ist der einzige wirklich auffällige Unterschied zu den anderen Balnearios.
    »Wassn das?«, rufe ich. »Ist das hier der Ballermann sechs?«
    Ein Paar, das an einem Tisch gleich neben mir sitzt und Kaffee trinkt, nickt stumm. Beide haben mintfarbene Trainingsanzüge an, auf denen » TSV Muffendorf« steht.
    »Wosssinnndenn? Woisssnnn? Ich raff nix mehr«, gurgele ich und lasse mich platt und schwitzig in einen der Alustühle fallen. Lucia und die Kinder sind mittlerweile auch da und setzen sich zu mir.
    »Mir isschlecht«, lalle ich.
    Ein paar Gäste schütteln angewidert den Kopf, andere scheinen eher Mitleid zu haben, wiederum andere wirken amüsiert.
    »Ischglaub, ich mumi …«, würge ich. Mit vollen Backen und letzter Kraft springe ich auf, schiebe die Stühle mit den Kniescheiben beiseite und erreiche mit einem Kurzsprint die Promenadenmauer, hinter der ich den inzwischen warmen, galligen Gerstensaft schwallartig auskotze. Nur fünf Meter hinter einem Nordic Walking Club aus Bad Hersfeld. Das steht zumindest auf einem der Handtücher.
    Während ich noch eine Weile in gebückter Position verweile, höre ich, wie es in meinem Rücken aus einem der Lautsprecher tönt: »Ich bin ein armer Idiot, sogar mein Klo hat mehr Niveau. Helft mir, denn ich merk es nicht.«

Neun
    »Wir sind jetzt zehn Monate hier, vertraglich sind wir also nicht mehr an die Wohnung gebunden. Pau schreibt in letzter Zeit mehr Zettel denn je, und Luna hustet nachts bedenklich. Ich bin nicht sicher, wie gut ihr die Stadtautobahn neben dem Kinderbett tut«, frotzele ich auf der Terrasse bei unserem improvisierten Abendbrot, das aus den Tapasresten vom Vortag, Salat und Rotwein besteht.
    »Kannst du nicht ein Mal sachlich bleiben? Vielleicht erinnerst du dich noch daran, dass ich kaum Zeit hatte, um die Wohnung zu suchen«, sagt Lucia und knallt die Salatschüssel demonstrativ auf den Tisch.
    Die Wohnung. Wieder das alte Thema. Wieder fangen wir an aufzurechnen.
    »Ich weiß ja, dass es anstrengend war, aber wir müssen uns eingestehen, dass diese Wohnung ein Fehler war«, sage ich, wobei ich nicht »wir«, sondern »du« meine.
    Lucia schluckt. Sie kann siebzig Stunden in der Woche arbeiten, kommt mit vier Stunden Schlaf pro Nacht locker aus und geht vor dem Frühstück bei Wind und Wetter zehn Kilometer joggen, aber sie darf sich keinesfalls ungerecht behandelt fühlen. Dann zertritt sie Möbel, bekommt glasige Augen und verfällt in ein bodenloses Schweigen. Irgendwie wechselt sie dann von den beweglichen Dingen zu den starren und wird zum Accessoire – tagelang, wenn es sein muss. Sie schweigt so konsequent, dass ich mich irgendwann schuldig fühle. Jedes Mal. Das gilt es unter allen Umständen zu vermeiden.
    »Lass uns irgendwo hinziehen, wo es ruhiger ist. Vielleicht in ein Dorf in der Umgebung«, schlage ich vor.
    »Ein Dorf? Hast du etwa gerade Dorf gesagt? Du?«, höhnt Lucia, schiebt den Stuhl zurück und verschränkt die Arme vor der Brust.
    »Ja, ich weiß, ich habe hundertmal gesagt, dass ich nie mehr in ein Dorf ziehen will, weil ich in einem

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