Papa ante Palma
schmeckt nach nichts mehr. Meine Geschmacksnerven sind offensichtlich bereits über den Jordan. Egal, Hauptsache es ist kalt. Außerdem muss ich mir den Ballermann sechs schön saufen.
»Das Eis laaaangsam essen«, ruft Lucia den Kindern zu. »Seht mal, wie ihr ausschaut.«
Beide haben im Nu einen Schokoladenvollbart, auf den einige vorbeigehende Rentner amüsiert deuten.
»Missst, ssseitdem ich Papa bin, vertragich ga nix mär«, brabbele ich vor mich hin, stelle das leere Glas ab und zahle.
Auf dem Weg zu Ballermann Nummer sieben lichtet sich die dichtbepackte Laden- und Hotelfassadenkette und weicht zugunsten eines kleinen Platzes, auf dem eine weiße Kirche steht. Alles wirkt recht retortenhaft, aber fast wie eine gewachsene Dorfidylle.
»He, mach dich nicht so schwer«, sagt Lucia, als ich erneut den Arm um sie lege. »Aufstützen gibt’s nicht.«
»Jetzt komm, haab dich nicht so«, quengele ich und drücke ihr einen nassen Schmatzer auf die Backe. »Ich haalte den Ballermah nur bsoffen aus.«
»Aber bis jetzt ist es doch völlig harmlos.«
In diesem Moment schreiten drei als Bayern verkleidete Südamerikaner im Gleichschritt an uns vorbei. Sie tragen Lederhosen und Filzhüte mit aufgesteckten Gamsbärten, bereit, jedem Deutschen ungefragt einen Flyer in die Hand zu drücken. Mit starkem spanischem Akzent und unter größten Anstrengungen reimen sie:
»Eins, esswei, edrei,
jrcheute Awend Feierei.
Konn, konn, konn cherbei!«
»Siiiehste, die Vorboten der Hölle! Haaabich’s doch gewusst. Und daa wills du mi verbieten, noch eine zu tinkehh?«, schwafle ich und fuchtele mit dem rechten Zeigefinger in der Luft herum. »Da iser ja auch schon, der siebte Ballermann.«
Der Balneario ist deutlich voller als die anderen. Klar, denke ich, wer am Sechser keinen Platz findet, der kommt eben hierher.
»Ich nehme mal zur Abwechslung was Gesundes«, sage ich und bestelle einen hierbas , wie der Kräuterschnaps hier heißt. »Wiss du aunowas?«, frage ich Lucia, kratze die letzten Geldstücke in meiner Hosentasche zusammen und versuche die Münzwerte zu addieren. Letzteres dauert eine gefühlte Ewigkeit. Gerade so wie bei den Alten an der Supermarktkasse, die ewig im Portemonnaie herumsuchen, bis sie irgendwann aufgeben und es der Kassiererin hinstrecken.
Lucia schüttelt den Kopf.
»Auch gut«, murmele ich und setze das Glas an den Hals.
Die Süße des hierbas trifft mich unvermittelt. Der Schnaps schmeckt, als wäre ein Süßstoffspender in ein Glas mit Wick MediNait gefallen.
»Puuhhh«, stöhne ich für alle Gäste hörbar und verziehe das Gesicht. »Wassn das fürne Plörre? Iss wollte ’nen Sssnaps und kein Ahornsiruppp!«
»Estimm was niss, der Err?«, fragt der Barmann.
»Komm ma her«, flüstere ich und ziehe ihn an seiner Weste halb über den Tresen.
»Ich will zun Baaalermann sechs, verstehste«, hauche ich in sein behaartes Ohr. »Aber pssst, ich bin zunersten Mal hie und nur weil ich mir den angucken will, okay? Nur gucken! Entiendes ?«
»Si, señor« , sagt der Mann, »Esieh sin in essweiundet Meter da. Alle wolle imme nu gucken.«
»Ich weiß, gracias amigo «, sage ich, entlasse ihn mit einem Schulterklopfer aus dem Klammergriff. » NO SSWEIHUNDERT METER «, rufe ich dann quer über die Tische zu meiner Holden hinüber, indem ich die Hände wie einen Trichter um den Mund lege.
»Wieso nimmst du nicht gleich ein Megaphon?«, sagt Lucia.
Ein paar Leute lachen.
»Was ist mit ihm?«, fragt der kleine Junge am Nachbartisch.
»Nichts«, antwortet Lucia, »er ist nur sehr, sehr gut gelaunt.«
»Jetzt geht’s lo-os, jetzt geht’s lo-os!«, brülle ich, hake mich bei Lucia ein und schiebe sie in leichtem Trab ein paar Meter nach vorne. Die Kinder folgen uns quietschvergnügt.
Im Rücken höre ich vage ein »Unmöglich« und dann noch: »Tse, kein Wunder.«
Links Minigolfplätze, Pizzerien, Bierstuben und Boutiquen mit deutschen Namen wie Gerdas Strandkörbchen oder Uschis Klause. Auch der Strand ist nun deutlich voller. Mehr Bastschirme, mehr fliegende Händler, mehr glänzendes Fleisch und endlich eine Propellermaschine am Himmel. Aufschrift: »Fitnessworld an der Platja de Palma. Jetzt!«
Alles verdichtet sich, zielt auf den einen Punkt hin. Ein Massezentrum, das die Germanen anzieht wie ein angestochener Fisch die Haie. Ob aus Geilheit, wirklicher Gewogenheit oder purem Voyeurismus – die Gründe spielen keine Rolle mehr. Man ist hier. Das allein zählt.
Am Strand erkenne ich
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