Papa ante Palma
»sieh es ruhig auch mal von der praktischen Seite. Letztlich ist es doch egal, wo wir leben. Ob in Barcelona, New York oder Kaiserslautern, wir würden überall gleich wenig ausgehen und versuchen, nicht wahnsinnig zu werden, wegen der Windelmonster … autsch!«
Lucia hat mir einen Ellenbogen in die Seite gerammt. »War ja klar, dass du noch was hinterherschieben musst«, sagt sie.
Die Promenade füllt sich langsam, mit Joggern, Radfahrern und unzweifelhaft auch mit deutschen Kleinfamilien oder älteren Paaren. Am Strand liegen jedoch nach wie vor nur vereinzelt Grüppchen. Zur Linken tauchen nun ein paar plattenbauartige Gebäude auf, deren Fassaden völlig von der salzigen Luft zerfressen sind. Es sind Relikte aus dem Bauboom der siebziger Jahre, als die Hoteliers schnell und funktional irgendwelche Bettenburgen hochziehen mussten, um den steigenden Bedarf zu decken.
Ich merke, wie mir die Sonne den Wasseranteil des Bieres aus den Stirnporen zieht. Portioniert in winzigen Perlen. Es scheint, als bliebe der Alkohol als Konzentrat in der Schädeldecke zurück und legte sich wie Butter auf meine Synapsen.
Kurz darauf: Ballermann neun. Geschafft, denke ich und wende mich an den Barmann. »Ein Bier, bitte«, rutscht es mir direkt auf Deutsch heraus.
»Was ist, wenn wir scheitern, wenn wir hier nicht richtig ankommen?« Lucia lässt nicht locker.
»Dann haben wir eben ein paar tausend Euro in den Sand gesetzt und fahren nach Hause zurück«, sage ich. Dabei fällt mir auf, mit welcher Selbstverständlichkeit ich Deutschland immer noch als mein Zuhause tituliere. »Das Tolle ist doch, dass unser Leben wie eine Drehtür ist, genau wie die deutsche Fußball-Nationalmannschaft.«
»Was soll das denn bitte schön heißen?«, fragt Lucia verständnislos. »Warum ist eine Fußballmannschaft eine Drehtür?«
»Na, das sagen die doch immer, jeder kann jederzeit rein und auch wieder raus.«
»Das ginge mit einer ganz normalen Tür doch auch«, gibt Lucia zu bedenken.
»Ja … iss ja jäz egal«, entgegne ich. »Jedenfalls können wir auch die Drehtür nehmen und uns eine halbe Runde mitdrehen oder, oder, oder eben eine gansse Runde, verstehste?«
»Eine ganze? Dann sind wir am Ende ja wieder genau da, wo wir eingestiegen sind?« Lucia schüttelt den Kopf.
»Ja, sach ich jaa. Wier zück na Deussslahhnn.«
»Steve, bist du besoffen?«
»Aaach Quasss, doch nich vo drei Bier«, lalle ich beschwingt. »Komm, da hinten kann ich ssson Ballermann Nummer acht sehen. Da trink ich noch einsss.«
Links von uns tauchen die ersten Spielhöllen und Strandzubehörläden auf. Überall Handtücher, Sonnenöl und die bereits aufgeblasenen Luftmatratzen in Reih und Glied. »Alles so schön bunt hier«, geht mir Nina Hagens Song durch den Kopf. Dennoch ist das alles weit davon entfernt, aufdringlich oder völlig geschmacklos zu sein. Am Strand mehren sich nun die Sonnenschirme mit Bastkopf, die mit dem karibischen Flair. Die ersten Kitesurfer zischen den Küstenstreifen entlang.
»Weissu, ich finde, wir haben alles richtich gemah, mir hat die Fremde ssschon imma gefallen. Wenn man fremd ist, alsooo, dann ka man Fremde erst richtig verstehen, isch meine, äh, … also auch andere Fremde in Deusslahn jäz, Demut unsoweiter. Ich sach ma so, du machs einen super Job und ischab die Kinder und die Musssik, was … was will man meoaah?« Mit dem letzten Wort rülpse ich aus Versehen, was mir einen leicht angewiderten Seitenblick von Lucia einbringt.
»Kindaaahhh! Ballermann acht ist da«, brülle ich über den halben Strand hinweg. »Kommt, jäz gib’s für die Mädels ein Eis und Papa trinknoeinen.«
Ein Paar, das auf einem Strandtuch sitzt, dreht sich zu uns um. Die Körper der beiden sind so weiß, dass sie beinahe leuchten. Neben ihnen auf dem Tuch erkenne ich die neuste Ausgabe des Spiegel .
»Geht das auch in etwas gemäßigterer Lautstärke?«, fragt der Mann.
»Wass isn mit dir? Iss das etwa dein Strand, du Pimpf?«, schnauze ich ihn an und springe angriffslustig auf die kniehohe Promenadenmauer.
»Steve!« Lucia zieht mich zur Seite. »Ich glaube, drei Bier in einer Viertelstunde bei prallem Sonnenschein sollten genügen.«
»Genug … hicks … kann nie genügen«, zitiere ich irgendeinen alten Song von Konstantin Wecker und torkele zur Bar hinüber. »Ein großes Bier, pofafor «, bestelle ich und füge an Lucia gewandt hinzu: »Ich muss mich vorbereiten, auf das Grauen vom Ballermann Nummer sechs. Prost!«
Das Bier
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