Papa ante Palma
kniet sich kurz auf die Straße und öffnet
den silbernen Koffer. Zu meiner Überraschung befinden sich darin zahlreiche
kleine Säckchen sowie mit Korken verschlossene Reagenzgläser mit den
unterschiedlichsten Pulvern, Essenzen und getrockneten Pflanzenteilen. Alle sind
sie auf Lateinisch beschriftet und liegen geordnet nebeneinander. Dazwischen
entdecke ich eine Steinschale. Jochen nimmt sie heraus und füllt etwas Sand aus
einem Säckchen hinein, dann gibt er einen Kohledrops darauf, den er
anzündet.
»Ah, da haben wir es ja, Weihrauch«, sagt er und
wählt ein Gläschen, in dem sich ein goldenes Granulat befindet.
Er öffnet es und schwenkt es ein paar Mal unter
seiner Nase, als handele es sich um einen Château Pétrus. Dann lässt er ein paar
der Granen davon auf die inzwischen glühende Kohle purzeln. Augenblicklich
steigt stark würziger Rauch auf.
Die Kinder weichen zurück.
»Keine Angst«, sagt Lucia, »das ist kein
richtiges Feuer.«
»Lasst uns beginnen.« Jochen nimmt feierlich die
Steinschale und verschwindet zügig in dem dunklen Hauseingang.
»Schnell, hinterher«, rufe ich meinen drei Frauen
zu. »Wir sollen doch dicht hinter ihm bleiben.«
Mein Freund steht bewegungslos im Flur, die Augen
geschlossen. Er wirkt hochkonzentriert.
»Und?«, frage ich aufgeregt. »Wie schlimm ist
es?«
Jochen reagiert nicht. Offensichtlich hat er sich
gerade mit Rosa verbunden und hört ihr zu.
»Doktor Buchholz, hallo?«
»Pssst«, zischt er aus dem rechten
Mundwinkel.
»Komm, du kannst uns doch jetzt nicht einfach
hier stehen lassen. Da draußen wartet ein voller Transporter mit unserem
Krempel«, flüstere ich. »Wir ziehen hier nicht ein, wenn es spukt.«
»Alles clean! Hier ist gar nichts«, sagt Jochen,
plötzlich wieder ganz wach.
»Was? Woher willst du das wissen? Wir haben doch
nicht mal angefangen.«
»So was spürt man … wenn man sich darauf
einlässt.«
»Und jetzt? Sollen wir jetzt alle tanzen und ein
Eis essen gehn?« Ich bin halb enttäuscht und halb erleichtert.
»Nein, wir ziehen die Sache komplett durch«, sagt
Jochen. »Das kann auf keinen Fall schaden.«
So wandern wir fünf von einem Raum zum anderen,
um das Clearing vorzunehmen. Jochen hat es besonders auf die Ecken abgesehen,
die er alle mit der rauchenden Steinschale abfährt und dabei vor sich hin
nuschelt. Irgendwann gelangen wir auch in den Durchgangsraum mit der
zugemauerten Tür.
»Hier hätte ich das Clearing gerne etwas
gründlicher gemacht«, sage ich. »Du weißt schon, der Alptraum und so
weiter.«
Jochen nickt wissend. »Ihr könnt auch selbst die
guten Energien bitten zu bleiben und die negativen anregen zu gehen. Ich mache
gerade nichts anderes.«
»Muss man dazu irgendeinen Zauberspruch
aufsagen?«, fragt Lucia.
»Nein, du musst es einfach nur aussprechen.«
Zu viert stellen wir uns Hand in Hand vor die
zugemauerte Tür, während Jochen eine besonders schwierige Ecke säubert. Lucia
späht zu mir herüber. Ich sehe erst sie an, dann die Kinder. Sie wissen, dass
gleich irgendwas Lustiges passiert, und quietschen.
» WIR BITTEN DIE GUTEN ENERGIEN ZU BLEIBEN UND DIE NEGATIVEN ZU GEHEN !«
Schön, dass einem vor Menschen, die man liebt,
nichts peinlich sein muss.
»Gut, wir sind durch«, sagt Jochen und betrachtet
uns lächelnd. Er ist etwas verschwitzt, fast so als hätte er eine zusätzliche
Arbeit verrichtet, von der wir nichts mitbekommen haben. »Jetzt bitte alle
Fenster und Türen aufreißen. Wir wollen doch den schlechten Schwingungen
ermöglichen, die Räume auch wirklich zu verlassen.«
»Okay, ich mache das mit den Kids, dann könnt ihr
schon mal anfangen, die Kisten auszuladen«, schlägt Lucia vor.
Fünf Stunden später stehen die Umzugskisten in
den entsprechenden Zimmern, die Kinderbetten sind aufgeschlagen, und auch das
Wasserbett ist unter größten Anstrengungen aufgebaut und befüllt. Nach getaner
Arbeit sitzen Jochen und ich noch im Wohnzimmer zusammen und gönnen uns ein,
zwei Bier.
»Mein Flieger geht morgen in aller
Herrgottsfrühe. Ich würde mich daher gerne noch ein bisschen im Hotel ausruhen«,
sagt mein Freund und kneift ein Auge zu.
»Verstehe, Silvia«, erwidere ich.
»Si.«
»Danke, dass du hergekommen bist. Damit hast du
einen gut bei mir.«
»Gerne. Irgendwann mal kannst du mein Schlagzeug
so aufnehmen, dass es auch nach was klingt.«
»Unmöglich«, sage ich lachend. »Das bedeutet die
Quadratur des Kreises.«
»Viel Spaß noch in dem Haus. Es hat
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