Papa ante Palma
schlagartig die Schnecken ein.
Als ich die Tür zum Garten aufstoße, steht Sophie wie angewurzelt zwischen den Zitruspflanzen und starrt auf den Boden. Die Schnecken liegen überall. Sie sind keineswegs explodiert, sondern wirken noch recht intakt. Nur bewegen können sie sich offenbar nicht, irgendwie sind sie wohl gelähmt. Ihre Weichkörper schlagen eigenartige Blasen wie beim Auflösen einer Vitamintablette. Bei einer Schnecke direkt vor Sophies Fuß bildet sich gar eine größere Blase, die sich sanft löst und wenige Zentimeter über dem Boden schwebt. Dann zerplatzt sie, und es regnet in winzig kleinen Tropfen auf das Beet.
»Papa, guck mal«, sagt Luna, die ihrer Schwester und mir gefolgt ist. »Juan el caracol.«
»Ja, Juan el caracol «, sage ich zerknirscht. »Kommt, wir spielen noch ein bisschen mit der Murmelbahn.«
Dreizehn
Es ist Sonntag, und ich bin mit den Mädchen
allein zu Hause. Lucia fährt mittlerweile fast jeden Sonntag auf Geschäftsreise.
Nach Deutschland, genauer gesagt nach Kassel. Mal organisiert sie Messeauftritte
für Kunden, mal trifft sich die Führungsriege der Firma in wechselnden
Nobelhotels und wird mit bunten Folien traktiert. Zwei bis drei Tage bleibt sie
meist weg. Viel zu lang, finden wir drei. Aber Job ist Job. Und es ist ein
gutbezahlter Job.
»Da ziehen wir nach Mallorca, damit du dein
halbes Leben in Kassel verbringst«, sage ich süß-sauer am Abend vor einer ihrer
Dienstreisen.
Aus dem Nebenraum vernehme ich nur ein paar
dumpfe, bassige Schlagwörter wie »Konsolidierung«, »Deutsche Mutter« und
»Übergangslösung«. Lucia steckt offensichtlich mal wieder mit dem Oberkörper in
den Untiefen ihres Kleiderschranks.
»Wenigstens ist es in deinem Hotelzimmer schön
warm«, frotzele ich weiter. »Hier wird es nämlich langsam fri-iiiisch.« Ich
reibe mir mit den Handflächen über die Oberschenkel. Ein Blick auf den
Temperaturmesser in unserer Mehrzweck-Radiowecker-Wetter-Station im Wohnzimmer
gibt mir recht. Fünfzehneinhalb Grad Celsius bei einer Luftfeuchtigkeit von
neunundachtzig Prozent. Und das Ende Oktober.
Allmählich kehrt sich das kühle Wohnklima, das im
Sommer noch eine Wohltat war, ins Negative um.
»Wir müssen diese beiden mobilen Gasöfen mal
langsam anwerfen, die uns die Vermieter dagelassen haben«, schlägt Lucia vor und
stopft ihre Kleiderausbeute in den aufgeklappten Trolley.
»Aber wir haben kein Gas. Wann kommt noch mal der
Gasmann und bringt die orangen Flaschen?«
»Immer montags.«
»Das ist ja schon morgen. Dann werde ich ihm
gleich welche abkaufen.« Zufrieden mit dem extrem kurzen Problemlösungsprozess
wende ich mich den Mädchen zu. »Kinder, ab jetzt müssen wir unsere
Filzpantoffeln anziehen, da der Steinboden sehr kalt geworden ist, okay?«
»Ich weiß nicht, wo die sind«, sagt Sophie,
»kannst du mir helfen, Papa?«
Zusammen suchen wir in einer der Schuhkisten nach
den Puschen.
Lucia hetzt an uns vorbei zu ihrer
Handy-Laptop-Dockingstation, streckt mir die Zunge raus und sagt: »Heute fliege
ich nicht nach Kassel, sondern nach Zürich. Denkst du bitte noch an den
Papagei?«
Na, dann eben Zürich. Ach ja, die Sache mit dem
Vogel. Den hatte ich völlig vergessen.
»Wie heißt er noch? Charly?«, frage ich.
»Nein, die Frau heißt Charly, der Papagei hört
auf den Namen Vivien.«
»Was ist denn das für ein bescheuerter Name für
einen Papagei?«, sage ich. »Schau, Schatz, hier sind sie doch, deine
Lieblingspantoffeln.«
Sophie zieht glücklich ab.
»Wir nehmen ihn nur für ein paar Tage in Pflege,
bis Charly und Howard aus dem Urlaub zurück sind.«
»Kenne ich Charly und Howard?«, frage ich.
»Nein, sie macht mit mir den Pilateskurs, und
Howard ist wohl ein etwas lichtscheuer Workaholic. Beides Engländer.«
An diesem Volk kommt man auf der Insel nicht
vorbei, denn sie sind ähnlich präsent wie die Deutschen. Die Engländer von Alaró
haben sich für mich jedoch als große Überraschung erwiesen. Auch wenn ihre
Spanischkenntnisse meist dürftig sind, so zeichnen sie sich beinahe alle durch
gute Laune, einen feinen Humor und ihre gute Kinderstube aus. Die englische
Enklave in unserem Dorf hat jedenfalls nichts mit den britischen
Hängebauchschweinen aus Magaluff an der mallorquinischen Südwestküste, dem
englischen Pendant zum Ballermann, zu tun.
»Katzen, Schnecken, ein abgehackter Schweinskopf
und jetzt auch noch ein Papagei. Ich finde, es hat sich bald mit den
Tieren.«
»Jetzt hab dich nicht so. Du weißt
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