Papa To Go
das Unbewusste mit dem Bewussten zusammenschließt und tief aus dem Körper heraus spricht, dann ist das zweifellos ein einzigartiges Erlebnis, wie es einem im Leben nur sehr selten begegnet, es sei denn, man ist Psychologe. Im Alltag arbeiten wir alle mit einem erlernten Betriebssystem, das sich vor allem auf Erfahrungen und Ängste stützt. Wir haben gelernt, uns zu verhalten, sozialfähig zu sein und Vermeidungen Vermeidungen sein zu lassen, ohne sie konkret anzugehen. Hier, während der Geburt, ist das anders. Deine Partnerin wird zu einem Tier, zu einem Triebwesen, das so agiert, wie es ist, ohne nachzudenken! Die Persönlichkeit, die du im Lauf der vergangenen Jahre kennengelernt hast, ist wie weggespült. Die da auf der Trage ist pur, rein, klar. Geistig und körperlich. Letzteres fördert während eines unverfälschten Zustands auch visuelle Dinge zutage, die nur ein von Instinkten geleiteter Urmensch ohne Scham leisten kann.
Glücklicherweise konntest du dich in kleinen Schritten auf diese große Wahrheit einstellen. Mit jedem Gang zum Arzt, mit jeder kleinen, auch mal ungeplanten Untersuchung zwischendurch bist du bereits in den Genuss gekommen, deine Frau von der anderen Seite kennenzulernen. Und das meine ich durchaus so, wie ich es schreibe. Der eine oder andere von dir begleitete Arztbesuch oder gerade in der Phase direkt vor der Entbindung, wenn es zu einem harmlosen Fehlstart (»Was wollen Sie denn hier? Kein Blasensprung, keine Wehen - gehen Sie erst mal wieder nach Hause!«) kommt, konfrontiert dich weiches Geschöpf mit der Härte und den ungeschönten Auswüchsen des Lebens. Des femininen Lebens.
Da es während der Geburt im wahrsten Sinne für die Mutter kein Halten mehr gibt, kann dein kleines, feines, mittlerweile einige empfindliche Augenschmäuse zählendes Repertoire endlich um neue Augenzeugenleckereien erweitert werden. Darunter verzichtbare Eindrücke von echten Blutschwallen, amtlichen Kotabsetzungen und leichtem Harnlassen. Eine Augenweide und Erlösung, wenn du aus dem Augenwinkel dann schließlich dein herausflutschendes Kind siehst. Lass dir eins gesagt sein: Jeder Mann guckt da hin, also rede dir nichts ein. Vollkommen okay, wenn du später deine Partnerin anlügst und so tust, als hättest du nur sie angesehen und ganz bewusst weggeschaut. Das erspart dir lästige Gespräche, und den Anblick hast du eh recht fix verdrängt. Das kann der Mensch ja ganz gut. Für die Folgezeit, die dir in Form von vollen Windeln, ständigen Anurinierungen und vollgekoteten Bodys, bei denen der sämige Stuhl tatsächlich aus dem Halskragen und aus dem Ärmel quillt, begegnen wird, eine traumhafte, sehr intensive Vorbereitung. Wovor sollst du dich denn da in Zukunft noch ekeln?
Der große Augenblick, der dein Leben auf den Kopf stellt
Ist der Muttermund geöffnet, bitten die Geburtshelfer dich zum Kopf der Frau. Von dort aus schaust du dem bunten Treiben nun zu und kümmerst dich dabei um deine Partnerin. Die Hebammen geben die Atemtechniken während der Wehen vor - die machst du selbstverständlich mit. Die Kreißsaal-Crew wollte von uns den Rufnamen unserer Tochter wissen, damit wir ihn gemeinsam brüllen konnten, um sie zu uns zu rufen! Und so schrie der ganze Saal: Rooooooooooomyyyyyyyyyy!!!
Und noch mal: Rooooooooomyyyyyyyyyyyyyyyyy!!!
Es war wunderbar. Das war Gänsehaut pur. So unwirklich.
Da stehen zwei Hebammen und ein Arzt, und die rufen zum ersten Mal laut den Namen eures Kindes, das körperlich noch gar nicht präsent ist. Mit jeder Wehe brüllten wir, meine Frau hingegen war zu schwach dazu. Und dann ließ sich mit den einzelnen Schüben schon der Haarflaum sehen. Eine der Hebammen bot meiner Frau an, den Kopf ihrer Tochter schon mal berühren zu können, indem sie sich zwischen die Beine fassen sollte. Absurd. Sie zögerte zunächst, da es für sie unvorstellbar und unfassbar war, die Haare des Menschen zu spüren, der da seit Monaten in ihrem Bauch hauste, mit dem sie natürlich körperlich nah verbunden war und der nun also ausziehen wollte. Ein ständiger unbekannter Gast, ein blinder Passagier auf einer ewig langen Reise - die erste Begegnung stand kurz bevor. Dann tat sie es, tastete sich langsam mit einer Hand vor, und plötzlich kullerten ihr Tränen die Wangen hinunter. Vermutlich ein Hebammentrick: Die Motivation, nun schnell zu Ende zu pressen, stieg ins Unermessliche, und so ging daraufhin alles ganz schnell.
Es passiert schließlich ganz plötzlich. Wie eine
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