Papa
während sie sich zu ihm beugte. »Ja, Herr Bendlin, ich hatte Angst. Wenn Sie jeden Tag mit einem Soziopathen arbeiten müssten, hätten Sie auch Angst.«
»Sie wollten ihn loswerden?«
Sie lachte auf. »Loswerden? Glauben Sie nicht, dass ich so leicht zu durchschauen bin. Ich habe gekämpft, um ihn selbst therapieren zu können.«
»Aber es hat nicht funktioniert. Sie haben alles getan, dennoch wurde er zudringlicher.«
Kramme setzte sich an ihren Schreibtisch und lehnte sich zurück, ohne Robert aus den Augen zu lassen. Sie hatte sich von einem Huhn in einen Adler verwandelt. »Vergessen Sie nicht den Parasiten, von dem er gesprochen hat. Ried war wütend. Er fühlte sich verlassen, von seiner Frau, aber vor allem von seiner Stieftochter. Er hat ihr geschrieben. Jeden Monat. Sie hat nie geantwortet, und so wuchs der Parasit, wie er es nannte, immer weiter.«
»Und das war für Sie ein Grund, sein Sicherheitslevel herabzustufen?« Robert überflog die Liste in seiner Hand und stockte. Aufgelistet waren die Therapeuten, mit denen Ried direkt oder indirekt Kontakt hatte. Viele Doktoren und Professoren, nichts Verdächtiges. Bis auf einen Namen.
»Ich würde mit Ihnen gern über Sebastian Graf sprechen. Ist das üblich? Ich meine, Graf ist doch kein ausgebildeter Therapeut?«
»Das war auch nicht nötig. Wenn Sebastian anwesend war, ging es um Technik, um Pinselführung und darum, wie man seine Gefühle in Farbe verwandelt. Er war brillant in dem, was er machte.«
Robert war sich sicher, dass noch mehr dahintersteckte, aber er fand keinen Anhaltspunkt dafür. »Was hat Ried gemeint, als er sagte, dass er seinen Parasiten abgegeben hat? In welchem Zusammenhang steht der Kunstunterricht dazu?«
Claudia Kramme schluchzte trocken. Sie stützte den Kopf mit einer Hand, als wollte sie ein kurzes Nickerchen machen.
»Frau Kramme«, er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, so dass sie zusammenzuckte und ihn mit großen Augen anstarrte. »Es sind Menschen in Gefahr, gottverdammt. Geht das irgendwann in Ihren Schädel?«
Robert sah der Anstaltsleiterin an, dass sie lieber nichts mehr gesagt hätte, doch wahrscheinlich war ihr klar, dass er nicht lockerlassen würde.
»Er hat«, sie schluckte. »Ried hat sich gut mit Sebastian verstanden. Sie lagen quasi auf einer Wellenlänge.
Es, es schien ungefährlich. Immerhin ist eine psychische Dysfunktion nicht ansteckend. Außerdem passierte alles unter psychiatrischer Aufsicht. Wir haben …«
»Nun reden Sie schon! Was machte Sebastian so besonders? Was versuchen Sie hier nett zu umschreiben?«
»Sebastian Graf, Herr Bendlin, war selbst Patient.«
[home]
Kapitel 39
D u tust verdammt noch mal, was ich dir sage!«, schrie Tommi und schüttelte Lillian, bis sie sich losriss. Ihr Gesicht war puterrot.
»Ich will zu ihr! Du kannst mich nicht davon abhalten.«
»Du glaubst gar nicht, was ich alles kann.« Er schloss die Tür, die direkt neben Lillians Zimmertür lag, und drehte den Schlüssel herum. »Deine Mama schläft jetzt. Sie ist verletzt und braucht Ruhe. Du kannst später zu ihr. Wenn ich es dir sage.« Er steckte den Schlüssel ein.
»Du hast mir nichts zu sagen. Du bist nicht …«
Tommi schob sich an ihr vorbei. »Ach, komm mir doch nicht mit solchen Floskeln. Ich bin nicht dein Vater?« Er drehte sich zu ihr. »Das Thema hatten wir doch schon. Ich bin dir mehr ein Vater als irgendjemand anderes.«
Lillian schaute ihn an, als wäre er eine Kakerlake, die man besser zertreten sollte. »Du quälst Menschen, du bringst sie um. Du bist das Allerletzte. Du hältst mich gefangen. Schön. Dagegen kann ich mich nicht wehren. Aber ich werde es dir so schwer wie möglich machen.«
Tommi antwortete nicht und ging die Treppe nach unten. Warum verstand sie nicht, was er tun musste? Er hatte versucht, es ihr zu erklären, aber sie wollte es nicht wissen. Er versuchte es noch einmal. Lillian stand ein paar Stufen höher als er, so dass er ihr in die Augen blicken konnte. So viel Unschuld spiegelte sich darin. All das, was er einmal war und nie mehr sein würde. Er nahm ihre Hände in die seinen. »Lillian, manchmal, mein Schatz, muss etwas schlimmer werden, bevor es besser werden kann.« Tommi wusste nicht mehr, woher er diesen Satz kannte, aber er gefiel ihm gut. Und er passte so schön. »Ich tue das für uns beide, verstehst du? Ich möchte etwas ändern. Ich möchte
mich
ändern, aber um das zu erreichen, muss ich das Ritual beenden. Es gibt keinen anderen
Weitere Kostenlose Bücher