Papa
treibe mich häufig in der Abenddämmerung herum. Morgens und abends sind die Farben der Natur am intensivsten. Zu keiner Zeit ist das Ruhrgebiet schöner. Aber für heute Abend habe ich genug. Wir sollten bei mir sein, bevor die Polizei eintrifft. Kommen Sie, ich helfe Ihnen.« Er fasste sie unter den Armen und zog sie auf die Füße.
»Mann, Mann, Mann. Da hat er Sie aber wirklich übel zugerichtet. Sie sollten bei Ihrer Männerwahl vorsichtiger sein.«
Michelle lächelte und ließ sich von Sebastian Graf zum Auto führen.
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Kapitel 38
E in Berg voller Akten türmte sich vor Robert und Gäter auf. Dahinter, zusammengesunken auf einem Stuhl, saß Claudia Kramme. Sie gab keinen Laut von sich, bis Robert sie ansprach. In seinen Händen hielt er eine große Mappe mit Bildern. Er nahm eines heraus und betrachtete es.
Das Motiv war schlicht. Vielleicht ein stilisierter Mensch. So genau konnte er das nicht erkennen. Dennoch sah es ansprechend aus. Nicht so, als hätte ein Anfänger mal versucht, etwas zu malen. »Die sind von ihm?«
Kramme nickte. »Ried war begabt. Das war er wohl früher schon, bevor er zu uns kam. Wenn er gemalt hat, war er ein anderer Mensch.«
»Kommen wir doch kurz zurück auf die Dame, die Ihnen versprochen hat, dass niemand gegen Sie ermitteln wird. Wer ist es? Schreyer?« Das würde zu ihr passen.
Kramme schluckte. »Mit Manuela Schreyer habe ich nie gesprochen. Wer diese Dame war, kann ich nicht sagen. Sie hat ihren Namen nicht genannt.«
»Und sie hat Ihnen Geld bezahlt, damit Sie Rieds Sicherheitslevel lockern?«
»Viel Geld, ja. Hören Sie, ich weiß nicht, wer sie ist. Aber sie hat Kontakte bis in die höchsten Ebenen. Ich habe mit ihr nur am Telefon gesprochen, daher kann ich Ihnen nur sagen, dass sie einen asiatischen Akzent hat.«
Robert nickte. »Na schön. Belassen wir es vorerst dabei. Etwas anderes: Ich hätte gern eine Liste mit allen Therapeuten, die Kontakt zu Ried hatten. Versuchen wir es mal so.«
»Sie bekommen Ihre Liste«, sie ging zu einem Regal und förderte einen Aktenordner zutage, den sie sogleich durchsuchte.
Gäter griff zwischenzeitlich in den Karton, den Kramme ihr gegeben hatte, und zog eine Kassette heraus. Sie steckte sie in ein Diktiergerät, das auf Krammes Schreibtisch lag, und schaltete es ein. Es kratzte und rauschte, dann war eine Männerstimme zu hören.
»Das ist Ried«, sagte die Anstaltsleiterin, während sie einen Ordner durchsuchte.
»… das hätte ich nie gedacht. Es ist wie ein Krebsgeschwür, ein Parasit, der sich in meinem Hirn eingenistet hat. Je länger ich darüber nachdenke, je öfter ich mir vor Augen halte, was wirklich geschehen ist, desto unerbittlicher frisst er. Jeden Gedanken, jedes Gefühl schlingt er in sich hinein, um nur eines zurückzulassen: Rache. Ich weiß, dass das nicht fair ist, und ich will es auch nicht. Nur wie soll man sich gegen Parasiten wehren?
Darüber habe ich mir Gedanken gemacht, wissen Sie. Und eigentlich ist die Lösung so naheliegend.« Thomas Ried machte eine Pause. Es hörte sich an, als tränke er etwas, doch die Aufnahme war zu verrauscht, um es mit Sicherheit zu sagen. Dann verfiel er in einen Flüsterton, der Robert eine Gänsehaut über die Arme laufen ließ. »Das, was am einfachsten ist, fällt einem seltsamerweise als Letztes ein. Wer von einem Parasiten befallen ist, muss ihn loswerden.« Er lachte. »Nur war mein Parasit kein Lebewesen. Wie also soll man etwas greifen, das unbegreiflich ist? Manchmal, liebe Frau Doktor Kramme, muss man Glück haben im Leben, nicht wahr? Wer hätte gedacht, dass mir die Maltherapie tatsächlich eine Gelegenheit dazu geben würde? Wer hätte gedacht, dass ich den Parasiten einfach abgeben kann?
Wissen Sie, dass Sie in diesem kalten Licht eine wunderschöne Haut haben? Ich stelle mir manchmal vor, wie es darunter aussieht. Nachts, wenn ich allein bin. Das ist ausgesprochen erregend. Darf ich … darf ich Sie einmal anfassen? Ich verspreche, ich werde Ihnen nicht weh tun.« Er lachte trocken. »Ich werde Ihnen die Haut schon nicht abziehen. Zumindest nicht …«
Kramme drückte Gäters Finger nach unten, und das Band stoppte. Robert hatte gar nicht mitbekommen, dass sie aufgestanden war.
»Die Vorstellung«, sagte die Anstaltsleiterin und reichte Robert eine Liste, »jemanden zu töten, erregte ihn lange Zeit, während er hier war. Seltsamerweise war er wohl von mir besessen.«
»Das hat Ihnen Angst gemacht?«
Krammes Gesicht zog sich zusammen,
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