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Papa

Papa

Titel: Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven I. Hüsken
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Zellinger ist hier, und er dürfte ziemlich angepisst sein, wenn er dich sieht.«
    Robert beachtete Gröne nicht weiter. Dafür war er zu unwichtig. Er brauchte den Hinweis auf das nächste Opfer. Der Stern auf der Chinesin hätte ihn zu Maik führen müssen. Es lag zwar erst beim zweiten Blick auf der Hand, dennoch war der Hinweis eindeutig. Der Stern war das Zeichen der Polizei. Daran gab es nichts zu rütteln.
    Robert schlug den Kragen seiner Jacke hoch. Es war zugig, und die feuchte Luft kroch durch jede Ritze seiner Kleidung.
    Dutzende Beamte wuselten herum. Ein paar von ihnen trugen weiße Schutzanzüge. Auf einem provisorischen Tisch wurden Fundstücke gesammelt, die ein junger Polizist in eine Liste eintrug.
    Seinen Chef sah Robert nicht, dafür den grellen Lichtkegel, der auch schon von unten sichtbar war. Eine Plastikplane, die zwischen zwei Gerüsten gespannt war, verhinderte die Sicht auf die Leiche.
    Auf Maik
, korrigierte er sich in Gedanken,
sie verhindert die Sicht auf Maik.
Vergiss das nicht.
    Er verharrte eine Weile davor, traute sich nicht weiterzugehen. Dann gab er sich einen Ruck, trat durch eine Öffnung und erstarrte. Was für ein krankes Stück Scheiße war zu so etwas fähig?
    Angestrahlt von bunten Scheinwerfern, gespeist aus einem Generator, hing Maik gut zwei Meter über ihm an einem Gerüst.
    Im Lichtkegel flatterten unzählige Falter und Fliegen, und das Spiel aus Licht und Schatten ließ Maik lebendig wirken. Seine Arme waren ausgebreitet wie bei einem Priester, der zur Gemeinde sprach. Ein Priester, der dämonenhaft in nacktes Fleisch gehüllt und bluttriefend das Ende der Welt verkündete.
    Er war vom Schambein bis zur Kehle aufgeschlitzt. Seine Innereien hingen an feinen Drähten heraus, als wäre eine Bombe im Innern des Körpers explodiert. Alles, bis auf die fluktuierenden Schatten, in der Zeit eingefroren.
    Die Faszination, die dieses Bild bei Robert auslöste, wurde nur durch das kurze Aufblitzen seines Verstandes unterbrochen, der ihm zu sagen versuchte: Das dort oben ist keine Puppe, es ist dein Partner. Dieses Ding, das einem Menschen nur noch entfernt ähnelt, hat einmal gelebt. Gesprochen. Geliebt.
    Doch für die Realität blieb kein Platz. Dafür war die Szenerie zu abstrakt. Allerdings, das wusste Robert, würde dieses Bild zurückkehren. Wenn er schlief. Und es würde an ihm nagen wie eine Hyäne an einem morschen Knochen.
    Er schloss die Augen, verdrängte jeden Gedanken, der ihn ablenken konnte, und ging auf die Leiche zu. Gäter und die Spurensicherung hatten ihre Arbeit erledigt, und ein paar Beamte machten sich an die Arbeit, das
Kunstwerk
abzubauen.
    Sein Interesse galt dem rechten Arm. Oberhalb des Schultergelenks war die Haut säuberlich abgetrennt. Darunter war sie gut zu sehen. Es war ein Männerarm. Behaart und grobporig. Ein Tribal, das die Form eines
L’s
hatte, zierte den Oberarm.
L
für
Lilly
. Robert schluckte schwer. Wie grausam konnten Menschen sein?
    Er versuchte, es nicht anzuschauen, und konzentrierte sich stattdessen auf das Tattoo darunter. Noch hatten die Beamten Maik nicht heruntergeholt, so dass der Blickwinkel ungünstig war, doch was Robert sah, reichte aus.
    Ein Rorschachtest. Genau genommen eine Hand, die den
Schatten
eines Rorschachtests warf. Vielleicht in Form eines stilisierten Schmetterlings mit Hörnern oder besonders dicken Fühlern. Er selbst hatte diese Tintenkleckse gern in der Schule gemacht, ohne ihre Bedeutung zu kennen.
    Das Tattoo war zu tief gestochen. Feine Rinnsale aus getrocknetem Blut bildeten ein Netz, so dass es aussah, als würde es hineinfallen.
    Das Spiel aus Licht und Schatten – der Rorschachtest. Die ganze Inszenierung war ein Hinweis. Für Robert gab es nur zwei Möglichkeiten, wer das nächste Opfer sein konnte. Entweder jemand, der psychisch krank war, oder jemand, der einen psychisch Kranken therapierte.
    Wo war Gäter? Er drehte sich um und ging zwischen den Planen hindurch. Am Tisch, wo die Fundstücke aufgelistet wurden, stand sie und füllte ein Formular aus.
    Er ging zu ihr. »Gäter? Wir müssen uns aufteilen.«
    Sie blickte auf. »Haben Sie etwas herausgefunden?«
    »Zumindest habe ich eine Theorie. Ich glaube, wir befinden uns hier an einem Scheideweg. Sebastian Graf hat Thomas Ried mit Hilfe der Kramme aus der Psychiatrie befreit. Ich bin inzwischen überzeugt, dass zwei Seelen in Sebastian Graf kämpfen. Die eine, die wie Ried ist, Macht ausübt und tötet, und die andere, die sanft ist und

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