Papa
stand da und zitterte. Ihre Wangen waren feucht, die Augen gerötet.
Tommi duckte sich unter den Schlägen. Der letzte Angreifer witterte anscheinend seine Chance und schlug ihm immer wieder gegen das Bein.
In einer Drehung wehrte Tommi den Schlag ab. Doch mit einem Knacken brachen mehrere Finger seiner linken Hand. Schreiend krallte er sich mit der rechten in die Haare des Chinesen, und mit einem unmenschlichen Ruck schmetterte er dessen Gesicht auf sein Knie.
Die Nase des Mannes schien in seinem Kopf zu verschwinden. Aus seinem Mund sprudelte Blut hervor, während er zur Seite kippte.
Tommis Kopf dröhnte, sein linkes Bein schien explodiert zu sein, und die aufgeplatzten Stellen, die sich über seinen ganzen Körper verteilten, brannten, als hätte ihn jemand mit Flusssäure übergossen. Die gebrochenen Finger hielt er schützend an die Brust. Seine Augen zuckten suchend umher. Fast hätte er sie übersehen. Doch da war sie. Lillian. Schwach, ängstlich, kauernd. Sie starrte die Chinesen an, die sich auf dem Boden wanden. Zumindest die beiden, die überlebt hatten.
Warum hatte sie ihm nicht geholfen? War er nicht schon immer ihr liebender Papa gewesen? Stattdessen hatte sie ihn abgelenkt. Er kräuselte die Lippen. Ohne sie hätte er den Kampf unbeschadet überstanden. Da war er sicher. »Na los«, raunte er ihr zu, »pack deine Sachen. Wir verschwinden für eine Weile.«
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Kapitel 43
D er Geschmack von Lösemittel schien sich in Michelles Rachen festgefressen zu haben.
Alles erschien konfus. Die Gedanken waren zäh, ganz so, als sträubte sich ihr Geist, den Sinn zu erfassen. Doch Michelle kämpfte, vertrieb die Müdigkeit aus ihrem Kopf und die Taubheit aus den Gliedern.
Allmählich erinnerte sie sich wieder an das, was passiert war. Sebastian Graf, der Künstler, war über sie hergefallen und hatte sie betäubt.
Mit der Erinnerung kam die Kälte zurück in ihren Körper. Sebastian hatte sie ausgezogen und ihr nicht einmal eine Decke gelassen. Nur ihren Slip trug sie noch. Nackt und hilflos lag sie da. Was hatte er mit ihr vor? Und wo war Tom?
Ein Geruch krabbelte in ihre Nase. Er war nicht sehr deutlich, genügte aber, um ihre Phantasie anzukurbeln. Es roch faulig, nach Unrat, nach einer übergelaufenen Toilette. Was zum Teufel hatte vor ihr hier im Zimmer gelegen?
Das willst du wissen?
Michelle schüttelte den Kopf, richtete sich auf und drückte eine Hand gegen die Stirn, als ihr schwindelig wurde. Sie schluckte die aufkommende Übelkeit runter und sah sich um.
Das Zimmer war spartanisch eingerichtet. Bis auf einen Plastikeimer und das Bett, in dem sie lag, gab es keine Einrichtungsgegenstände. An den Wänden, wo die Tapete heller war, hatten Bilder gehangen. Jeder Hinweis darauf, dass hier ein Mensch gelebt hatte, war entfernt worden.
Vorsichtig, um ihren Kreislauf nicht zu überanstrengen, stand sie auf. Ihre nackten Füße berührten den harten Teppich. Ein intensiver Ekel kroch ihr Bein empor und hinterließ eine Gänsehaut.
Mensch, reiß dich doch zusammen. Lilly ist hier irgendwo. Such sie, und dann finde sie!
Von der Decke baumelte eine nackte Birne. Selbst den Lampenschirm hatte Sebastian entfernt. Ihr Licht war kaum mehr als ein Hauch, doch es reichte aus, um sich zurechtzufinden.
Sie ging zur Tür und drückte die Klinke runter.
Ach, Michelle. Glaubst du wirklich ernsthaft, dass er vergessen hat, abzuschließen? Für dich gibt es nur einen Fluchtweg, und das weißt du.
Sie drehte sich um. Vor dem Fenster neben dem Bett lauerte die schwarze Nacht. Sebastian hatte nicht vor, sie lange hierzubehalten, das war klar. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zu fesseln. Michelle rechnete damit, dass er jeden Moment aufkreuzte. Wenn sie fliehen wollte, musste sie sich beeilen. Sie trat ans Fenster, schirmte ihre Augen mit der Hand ab und versuchte, etwas zu erkennen, doch außer ihrem ausgemergelten Gesicht sah sie nichts.
Sie versuchte das Fenster zu öffnen, doch der Mechanismus war blockiert.
Verdammt, such nicht, wirf die Scheibe ein und spring ins Ungewisse. Dein kleines Mädchen braucht dich. Jetzt mehr als je zuvor.
Wieder ließ Michelle den Blick durch das Zimmer schweifen, doch dieser Drecksack war nicht blöd. Hier gab es nichts, um das Fenster einzuschlagen.
Verzweifelt rüttelte sie an den Bettpfosten. Sie waren aus Holz und würden irgendwann nachgeben, wenn sie nur fest genug daran zog. Das Bett wackelte, die Vorderseite schlug dumpf gegen die Wand, doch es
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