Papa
nicht wissen, was er beabsichtigt. Ich will ihn nur kriegen. Du solltest der Kramme einen Besuch abstatten. Sie hat die letzten Jahre mit Ried verbracht. Vielleicht kann sie uns weiterhelfen. Dir weiterhelfen«, verbesserte er sich. »Ich bleibe hier und schreibe irgendwas.«
Eine Dreiviertelstunde später hallten Roberts Schritte klagend von den Flurwänden der psychiatrischen Klinik wider, wo sich Zimmertür an Zimmertür reihte. Er fühlte sich wie in einer riesigen Leichenhalle. Alles war still.
Gut, so hatte er etwas Luft, um in Ruhe nachzudenken. Im Kopf ging er die Fragen durch, die er Claudia Kramme stellen wollte. Die Anstaltsleiterin wusste nichts von seinem Kommen, und das sollte auch so sein. Allerdings glaubte Robert nicht daran, dass der Pförtner stillhalten würde. So wie er geguckt hatte, hatte er wahrscheinlich bereits dem Sicherheitspersonal Bescheid gegeben, das nun auf ihn im Büro der Anstaltsleiterin wartete. Doch das war egal. Robert war nur wichtig, dass sie sich nicht auf das Gespräch vorbereiten konnte. Etwas stimmte nicht mit ihr. Vielleicht war es nur seine Abneigung, die ihn das glauben ließ, doch wenn da noch mehr war, musste er das herausfinden.
Das Büro von Frau Dr. Kramme lag im zweiten Obergeschoss. Hier gab es keine Wohneinheiten, dafür Therapiezimmer, Behandlungsräume und eine zum Gang offene Küche. Es roch nach Kaffee und Waffeln, zwei Düfte, die Robert nie mit einer Klinik in Verbindung gebracht hätte.
Frau Kramme hatte kein Vorzimmer, daher klopfte er und trat direkt ein. Sie saß an ihrem Schreibtisch und blickte auf. Ihr Gesicht war ausdruckslos. Der Pförtner hatte ihn offenbar angekündigt. Natürlich. Wachpersonal war dennoch nicht zu sehen. Zumindest noch nicht.
»Guten Tag, Frau Dr. Kramme. Ich hoffe, ich störe nicht«, Robert ging direkt auf sie zu und schüttelte ihr die Hand, während sie sich erhob. »Bitte entschuldigen Sie mein plötzliches Eindringen, aber die Ereignisse überschlagen sich.«
Ihr Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Entschuldigung, ich habe ein schlechtes Namensgedächtnis. Sie hießen?«
Robert ignorierte das Stechen im Magen. Er griff ihre Hand und drückte ein wenig fester zu als nötig. »Robert Bendlin.«
Sie hob den Kopf. »Ah ja. Der Kommissar, nicht wahr? Was ist mit Ihrem Chef? Kriminalhauptkommissar Wegener, wenn ich mich recht erinnere? Oh, nehmen Sie doch auch Platz.«
Da kein Stuhl zur Verfügung stand, zog Robert einen Hocker aus der Ecke und setzte sich darauf. Er war sicher, dass man sehen konnte, wie seine Halsschlagader pulsierte.
Das Büro glich einem Tropenhaus. Auf den Wandregalen rechts standen mehrere Töpfe mit Farnen, auf dem Schreibtisch bunte Schnittblumen. Vor den Fenstern, die von der Decke bis zum Boden reichten, breitete sich ein Spalier aus Palmen aus. Fremdartige Masken und auf Papyrus gemalte Bilder schmückten die Wände, zusammen mit einem dekorativen Tropenhelm. Alles wirkte zusammengewürfelt und recht exotisch.
Robert war ein wenig enttäuscht. Er hätte zumindest eine Hühnerstange erwartet. Der Gedanke daran ließ ihn ein wenig aufrechter auf seinem Schemel sitzen.
Das Huhn legte die Fingerspitzen zusammen und blickte ihn offen an. »Wie kann ich Ihnen nun behilflich sein?«
Robert sagte nichts, und eine angespannte Ruhe machte sich breit. Er wusste genau, wie man Leute durch Schweigen nervös machen konnte.
Dr. Kramme spreizte auffordernd die Finger nach außen. »Nun?«
»Frau Dr. Kramme, uns liegen inzwischen ein paar Ermittlungsergebnisse vor.«
Sie lehnte sich zurück. »Und Sie möchten jetzt von mir gelobt werden? Hören Sie, meine Zeit wächst nicht auf den Bäumen, kommen Sie zur Sache.«
Robert zog sein Notizbuch aus der Hosentasche, blätterte darin herum und tat, als studierte er die weißen Seiten. »Ich habe mir hier eine Besonderheit notiert, die herausstechend ist. Können Sie sich vorstellen, was ich meine?« Er sah auf.
Unbeeindruckt starrte sie ihn an und schüttelte langsam den Kopf. »Nein, nein, ich habe mich noch nie für Polizeiarbeit interessiert.«
»Tatsächlich nicht? Dabei müsste gerade Sie das im Speziellen interessieren. Sie leiten doch eine forensische Psychiatrie, oder irre ich mich?«
Ihre Miene verfinsterte sich. Ihr Körper schien ein wenig zu schrumpfen, so sehr verkrampfte sie.
Gut! Das war die richtige Atmosphäre für eine gezielte Gesprächsführung. Sie durfte nicht die Gelegenheit bekommen, über ihre Antworten nachzudenken.
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