Papa
Tropfen auf ihr Gesicht, und ihr wurde klar, dass das Wasserrohr eingerissen war. Durch einen gezackten Spalt schoss eine feine Wasserfontäne in ihre Richtung. Die armen Kühe würden eine Weile nasse Füße bekommen.
Doch noch war Michelle nicht fertig. Sie setzte erneut an, atmete tief durch, sammelte Kraft und zog unter lautem Stöhnen die Zinkwanne aus der Verankerung.
Das Rohr riss ab, und ein Wasserstrahl rauschte in die Höhe.
Dicke Tropfen prasselten einen Moment lang vom Himmel und tränkten ihre Kleider. Dann verlor der Strahl an Druck, und das Wasser blubberte nur noch hervor.
Michelle hatte Mühe, sich auf dem schlammiger werdenden Untergrund zu halten. Erst jetzt, da ihre Kleidung durchtränkt war und ihr das Haar im Gesicht klebte, bemerkte sie, dass der Wind aufgefrischt hatte. Sie versuchte, es so gut es ging zu ignorieren, und betrachtete die Stelle, die sie freigelegt hatte. Der Sockel, auf dem die Wanne stand, lag im Wasser, das gemächlich den Hügel hinabfloss. Er bestand aus losen Waschbetonplatten, die schief auf dem Boden lagen.
Sie fasste die erste und stemmte sie in eine aufrechte Position. Es kam nur Erde zum Vorschein, die augenblicklich überspült wurde. Der zweite Stein lieferte das gleiche Ergebnis. Michelles Arme wurden schwer, und nur die Wut im Bauch trieb sie an. Die Gedanken an Lilly schob sie gänzlich beiseite. Angst lähmte, und das konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Sie war eine Löwin und ihr Junges in Gefahr.
Als sie die dritte Platte anhob, sah sie für einen kurzen Moment ein Loch, doch das Wasser füllte es zu schnell, um etwas zu erkennen. Ihr Herz raste. Sie stand kurz davor, das Versteck zu lüften.
Zu fluten wohl eher. Hab jetzt keine Angst, keine Zweifel. Heb’ die gottverdammte vierte Platte hoch und greif hinein. Und egal, was du ertastest, zieh es heraus.
Michelle zögerte. Es gab Entscheidungen, die man sein ganzes Leben lang bereute. Entscheidungen, die im Bruchteil einer Sekunde gefällt wurden.
Sie biss die Zähne zusammen, bis ihr Unterkiefer knackte, fasste die nächste Platte, stemmte sie hoch und ließ sie zur anderen Seite kippen. Mit einem Geräusch, als hätte jemand den Deckel eines Sarkophags fallen gelassen, schlug sie auf.
Michelle zögerte. So leicht ließ sich Angst nicht vertreiben.
Zugriff für Unbefugte verboten.
Vielleicht hatte Tom Fallen eingebaut? Sie riss sich zusammen und tauchte die Hand in das Wasser.
Das Loch war tief. Bis zu den Schultern verschwanden ihre Arme, dann ertastete sie etwas. Schaumiges Wasser spritzte ihr ins Gesicht, und sie schmeckte den Schlamm, der darin vermengt war.
Keuchend vor Kälte reckte sie den Kopf nach oben, um nicht unterzutauchen. Sie griff zu und zog eine blecherne Kiste heraus, nicht viel größer als ein Schuhkarton.
Süßer Triumph machte sich breit, mit einem bitteren Beigeschmack von Furcht und Ekel.
Die ganzen Jahre über hatte sie nicht einmal geahnt, was in ihrem Mann steckte. Was er trieb. Seltsam, was einem in Situationen wie diesen alles in den Sinn kam. Sie erinnerte sich daran, was sie gespürt hatte, wenn er sanft ihre Brüste streichelte. Wie er ihr in die Augen sah, wenn sie ihm in den Schritt gefasst hatte, um seine wachsende Erregung zu fühlen.
Und dabei war Leid und Tod das Einzige, was ihn wirklich geil gemacht hatte!
Michelle schleppte die Kiste halb kriechend, halb rutschend den Hügel hinunter. Sie spürte die Kälte kaum, die immer mehr Besitz von ihr ergriff, so sehr war sie in Gedanken. All die vergangenen Jahre stürzten mit einem Mal auf sie ein, und gleich schon würde sie all das vielleicht aus einem anderen Blickwinkel sehen.
Sie stellte die Kiste zwischen ihre Beine und wischte sich durch das schlammbespritzte Gesicht. Rechts und links von ihr floss das Wasser weiter in die Wiese.
Das Vorhängeschloss, für das sie natürlich keinen Schlüssel hatte, war rostig. Aber Michelle hatte damit gerechnet. Ihr Vermieter hatte ihr freundlicherweise ein paar Dietriche überlassen. Sie zog den Bund aus ihrer Tasche und probierte sie durch. Der vierte ließ das Schloss knacken und aufspringen. Sie warf es beiseite und zwang sich, langsam zu atmen.
Vorsichtig hob sie den Deckel.
In der Kiste lag ein aufgerissener Plastikbeutel, der von innen beschmiert war. Auch wenn es nicht mehr danach aussah, wusste Michelle genau, was es war: Blut. In der Tüte hatte etwas Blutiges gelegen. Jemand war hier gewesen und hatte die Kiste geplündert.
Jemand, oder er?
Aber da
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