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Papa

Papa

Titel: Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven I. Hüsken
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versucht, sich selbst zu therapieren. Er wollte für seine Frau ein anderer Mensch werden. Für ihn begann alles mit einer Schlachtung, und damit sollte es auch enden. Er tötete fünf Frauen, lebte an ihnen seine Triebe aus, führte sein Ritual durch – eine stilisierte Schlachtung in fünf Schritten –, und das war es dann. Die Fotos dienten ihm als Mahnmal. Wie die letzte Zigarettenschachtel, die man aufbewahrt, um nie wieder damit anzufangen.«
    »Hm«, brummte Maik. »Aber er
hat
wieder angefangen. Was also ist schiefgelaufen?«
    Kramme schaute Michelle an. »Lesen Sie die Unterlagen.« Ein Grinsen stahl sich in ihr Gesicht, dass es Michelle kalt den Rücken runterlief. Jeder in diesem Irrenhaus schien Gefallen daran zu haben, andere Menschen zu quälen.
    Maik überflog ein paar Seiten, blätterte zurück und las dann vor:
    »Es hätte vorbei sein können. So viele Jahre, und ich habe keinen Menschen mehr angefasst. Die Polaroids genügten mir. Sie allein haben meine Welt zusammengehalten. Der Ritus hatte mich verwandelt, hatte einen anderen Menschen aus mir gemacht, und plötzlich befand ich mich im freien Fall. Michelle hatte mir den Boden unter den Füßen weggezogen.
    Alles stand wieder auf Anfang. Können Sie sich vorstellen, wie so was ist? In einem Moment liegt das Leben in all seiner Schönheit vor einem. Zum ersten Mal, seit ich denken kann. Ich meine, ich habe eine Tochter aufgezogen, als wäre sie meine eigene. Noch nie habe ich so viel Liebe empfunden, und im nächsten Moment sieht man seine Frau, wie sie dieses Leben mit einer Axt kurz und klein schlägt. Und sie treibt es ausgerechnet mit ihrem Exmann.
    Ja, bevor Sie fragen, unsere Ehe
hat
darunter gelitten. Allein ihr Anblick löste Ekel in mir aus. Ich hätte ihr gerne das Herz aus der Brust gerissen, so wie sie es bei mir getan hat, und dabei hätte ich nicht Mal Lust empfunden. Diese Frau, die so perfekt war, dass sie Rosen geschissen hat, war eine elende Schlampe.«
    Michelle schlug eine Hand vor den Mund, während sich die Worte langsam in ihren Kopf bohrten.
    Es war nur ein gottverdammter Ausrutscher gewesen. Nicht ein Tag war seitdem vergangen, an dem sie es nicht bereut hatte.
    Und deshalb hast du dich entschlossen, es ihm zu beichten? Weil er ja ein so liebender Ehemann war? Weil er das Recht hatte, die Wahrheit zu erfahren?
    Michelle schüttelte den Kopf.
    Nein, natürlich nicht. Es ging nur um dich, nicht wahr? Du hattest ein schlechtes Gewissen und konntest es nicht ertragen. Du musstest es loswerden, dass du mit dem Vater deines Kindes fremdgegangen bist. Und das nur, weil du es mal wieder besorgt haben wolltest.
    Aber wenigstens weißt du jetzt, warum es Tom im Bett nicht mehr gebracht hat. Er steht auf andere Dinge. Wahrscheinlich hat er sich jedes Mal einen runtergeholt, nachdem er dich verprügelt hat. Wahrscheinlich hat er es genossen, dich zu bestrafen – und weißt du, was das Schönste daran ist? Du hast es verdient, verprügelt zu werden.
    Tom hatte es geschafft, seinen Dämon zu beerdigen, und ausgerechnet Michelle hatte ihn wieder ausgegraben.
    Und der Dämon war stinksauer. Und jetzt ist er frei und wütet.
    Es war alles ihre Schuld. Die Erkenntnis schlug so grausam hart in Michelles Bewusstsein, dass sie vom Stuhl rutschte und weinend am Boden zusammenbrach.
    Maik brach das Gespräch ab. Er fuhr sie nach Hause und brachte sie zur Tür. Er redete auf sie ein, doch davon bekam sie nichts mit. Erst als sie in der Wohnung war und sich die Tür hinter ihr schloss, klärte sich ihr Verstand.
    Sie lehnte sich gegen die Tür und sackte zu Boden. Toms Notizbuch fiel ihr aus der Hand und polterte auf die Fliesen. Michelle vergrub das Gesicht in den Händen und weinte.
    Nachdem alle Tränen vergossen waren, stand sie auf. Ihre Knie waren weich und die Finger blutbefleckt. Offenbar hatte sie aus der Nase geblutet, ohne es bemerkt zu haben. Sie ging einen Schritt, konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Es war keine Kraft mehr in ihr. Sie hob das Buch auf, schleppte sich ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Diese verdammte Chinesin. Irgendwo hier musste doch ein Hinweis sein. Es durfte kein
vielleicht
geben.
    Michelle blätterte sich durch das Buch und stieß auf eine Stelle, wo zwei Seiten aneinanderklebten. Beim ersten Mal war sie zu aufgeregt gewesen, um es zu bemerken. Vorsichtig löste sie sie und überflog die Zeilen, während sich ein Kloß in ihrem Hals bildete.
    Offenbar hatte Tom Kontakt

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