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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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Rückspiegel. Aber mein Bruder sah, dass ihr Yardley Acheman gefiel und dass es ihr egal war, wo er sie anfasste und wer sie dabei beobachtete.
    Yardley, erzählte mir mein Bruder einmal, wusste mit Frauen umzugehen.
    ALS MEIN VATER an diesem Sonntagnachmittag, den Anglerhut noch auf dem Kopf, die
Miami Times
aufschlug, richtete er sich schon nach wenigen Abschnitten kerzengerade in seinem Sessel auf. Ein großer Fisch hatte angebissen. Er beugte sich vor, hielt das Blatt vor die Augen, als wollten die Buchstaben verschwinden, dann blätterte er weiter, um mehr über die Geschichte zu erfahren. Manchmal hielt er inne, markierte die Zeile mit dem Zeigefinger, schaukelte vor und zurück, starrte an die Decke und ließ sich auf der Zunge ein Detail zergehen, das ihm besonders exquisit zu sein schien.
    Kaum war er fertig, kehrte er zur Titelseite zurück, blätterte von dort zur Mitte der Zeitung, taxierte die Länge des Artikels, beurteilte seine Platzierung und las ihn dann noch einmal von vorn.
    »Darum dreht sich alles«, sagte er schließlich und legte das Blatt zur Seite.
    Ich hatte an diesem Tag zwei Stunden lang den Rasen gemäht und wollte gerade nach draußen, um die Scheren des Rasenmähers zu schleifen, ehe es dunkel wurde. Beim Verlassen des Zimmers sah ich, wie er sich in die Hemdtasche fasste, um eine Pille herauszufischen.
    Als ich später wieder hereinkam, lag die Zeitung auf dem Fußschemel vor seinem Sessel, noch immer auf den Mittelseiten aufgeschlagen, dort, wo die Story über den toten Burschenschaftler zu Ende war.
    Ich fand meinen Vater auf der Veranda; er saß in einer alten, an einem Dachbalken festgebundenen Holzschaukel und trank ein Bier. Die Sonne ging unter, Anita Chester hatte das Abendessen aufgetischt und war gegangen.
    »Trinkst du?« fragte er.
    Eine seltsame Frage, dachte ich, nach all dem, was in Gainesville passiert war. Vielleicht wollte er wissen, ob ich trotzdem noch Alkohol trank. »Ein Bier. Manchmal«, sagte ich.
    »Dann hol dir ein Bier«, sagte er. Und als ich wieder ins Haus ging, fügte er hinzu: »Dein Bruder ist ein echter Zeitungsmann.«
    Und so saßen wir auf der Veranda und tranken auf das Wohl meines Bruders. An meinen Schuhen haftete der Geruch von frisch gemähtem Gras, und mein Vater, der gemächlich schaukelte, lächelte, schüttelte aber auch hin und wieder bekümmert den Kopf, als würde Wards plötzlicher Ruhm ihm in seiner eigenen Welt Probleme bereiten, an die er bislang nicht gedacht hatte.
    »Der Flugzeugabsturz«, sagte er, »das hätte Zufall sein können.« Ich sah ihn einen Augenblick verwirrt an, da ich erst nicht begriff, dass er von dem Artikel und nicht vom Unglück selbst redete. »Aber diese Sache mit dem Burschenschaftler … das ist ein Pulitzer, das könnte der stolzeste Augenblick meines Lebens werden.«
    Er hielt inne, als wolle er die Sache noch einmal unter einem anderen Gesichtspunkt abwägen, doch einige Minuten später fügte er hinzu: »Ich frage mich nur, wer dieser Yardley Acheman ist.«
    AM NÄCHSTEN SONNTAG mähte ich wieder den Rasen. Wenn ich sonntags nicht den Rasen mähte, kam Vater am Nachmittag vom Fluss zurück, ging wortlos und geradewegs in die Garage, zog den Rasenmäher heraus – ein einfaches Gerät mit verrosteten Scheren und profillosen Reifen – und begann, ihn über den Rasen zu schieben, in der Hemdtasche einen kleinen Vorrat Nitroglyzerin gegen einen möglichen Anfall von Angina pectoris.
    Bevor ich wieder zu Hause eingezogen war, hatte er stets eines der Kinder aus der Nachbarschaft gebeten, den Rasen für ihn zu mähen. Aber jetzt, da einer seiner eigenen Söhne im Haus wohnte, war es ihm peinlich, sein Geld zu verschwenden.
    Ich war im Hinterhof, als Ward anrief. Ich ließ den Rasenmäher stehen, nahm mir ein Bier, als ich am Kühlschrank vorbeikam, und hob den Hörer ab. Ich brauchte einen Moment, um seine Stimme zu erkennen. Seit Gainesville hatte ich nicht mehr mit ihm gesprochen, und er klang seltsam distanziert. Fast, als machte er sich ebensolche Sorgen wie mein Vater, dass ich verrückt geworden sein könnte. Denn die große Frage in jenem Frühjahr damals lautete, ob ich nicht vielleicht doch einen Sprung in der Schüssel hatte.
    Was Ward dachte, ließ sich allerdings nur schwer sagen; er hat sich mit seinen Antworten immer sehr bedeckt gehalten.
    Er besaß kein Talent für Konversation, hat nie verstanden, wie er sagen konnte, was er empfand. Fast schien es, als ob gewöhnliche Gesten – ein

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