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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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Mädchen die Sonne, und ich spürte es wieder, diesmal auf meiner Brust, spürte, wie es von meinem Bauch bis fast zum Hals wanderte. Es roch unbestreitbar nach Urin.
    »Bleiben Sie liegen«, sagte die Anführerin. »Der Krankenwagen ist unterwegs.«
    Ich setzte mich trotzdem auf, mir war schwindlig und übel. Das Brennen hatte – teilweise zumindest – aufgehört, dort, wo sie mich angepinkelt hatten.
    »Schätzchen«, sagte die Anführerin, »Ihr Gesicht hat auch was abgekriegt. Oder wollen Sie nicht, dass wir auf Ihr Gesicht pinkeln?«
    Die wahre Bedeutung einer solchen Frage liegt natürlich nicht in der Frage selbst, sondern in dem, was sie beinhaltet – dass man in Topform sein kann, richtig weit oben, dass man durch die Wellenkämme gleitet, und im nächsten Augenblick liegt man blind und hilflos am Strand und wird gefragt, ob man es vorzieht, dass einem fremde Leute nicht aufs Gesicht urinieren.
    »Nein«, sagte ich, »bitte nicht.« Meine Lippen waren inzwischen dick angeschwollen, und die Worte klangen undeutlich.
    »Was hat er gesagt?« fragte eine.
    »Ich glaube, er ist nicht mehr ganz bei sich«, sagte die Anführerin. Dann, zu jemand anderem: »Los, mach schon.« Und gleich darauf pinkelte mir jemand über die Schulter auf den Arm bis hinab zur Hand. Ich legte mich wieder hin, glitzerte in der Sonne.
    »Das habe ich ja noch nie erlebt«, sagte Charlotte.
    »Er ist vergiftet«, sagte die Anführerin. »Er ist vergiftet und hat eine allergische Reaktion.«
    »Ich sehe selbst, dass er vergiftet ist«, sagte Charlotte. »Aber wenn jemand von einer Schlange gebissen wird, pisst man ihn doch auch nicht an.«
    Ich weiß noch, was mir in den Kopf kam.
Man nimmt ihn in den Mund und saugt ihn aus
. Doch das hatte natürlich mehr mit mir selbst zu tun.
    Dann hörte ich den Krankenwagen, weit weg. Stimmen mischten sich unter die Sirene.
    DER ARZT WAR FETT , das konnte ich erkennen, als er meine Augenlider aufhielt, um die Pupillen zu prüfen. Er untersuchte meine Augen mit einer kleinen Lampe, erst das eine, dann das andere. Dann legte er die Lampe weg und musterte mein Gesicht, als wolle er kurz über das Problem in seiner Gesamtheit nachdenken. Er roch nach Zigarren.
    Dann ließ er mein Augenlid los, und der Raum wurde wieder dunkel. »Ein bisschen Epi, bitte«, sagte er.
    »Wie viel?«
    »Eine Ampulle, geben Sie mir das verdammte Ding, ich mach es selbst.« Einen Moment blieb es still, und dann sagte er: »Machen Sie schon, machen Sie, wenn wir ihn verlieren, wäre das ziemlich peinlich.«
    Und dann fühlte ich, wie es auf meiner Brust kühl wurde, als er eine Stelle mit Alkohol abrieb, dann ein langsames, wachsendes Brennen, als er die Nadel durch diese Stelle in meine Brust stieß.
    Ich schlief ein.
    ICH WACHTE IN EINEM DUNKLEN RAUM AUF . Durch die Tür fiel ein Lichtkeil auf den Boden, und das Laken, das mich bis zur Brust bedeckte, wurde durch den Herzmonitor neben meinem Bett blassgrün gefärbt. In meinem Handrücken stak eine Nadel, die mit einer Flasche über meinem Kopf verbunden war. In ihr spiegelte sich die grüne Kurve des Herzmonitors.
    Ich blinzelte, meine Augen fühlten sich geschwollen und fremd an, klebten aber nicht länger zusammen. Dafür waren sie trocken, und sie brannten. Ich richtete mich ein wenig auf und wusste, ich hatte es geschafft.
    »Jack?«
    Mein Bruder saß an der dunkelsten Stelle des Zimmers auf einem Stuhl, neben dem Herzmonitor, dort, wohin nur wenig Licht vom Gerät oder der Tür drang. Er trug ein weißes Hemd und einen Schlips, ein Busfahrschein steckte in der Hemdtasche. Ich konnte das Wort
Trailways
lesen. Im Dunkeln wirkte sein Gesicht eingefallen. Mir war kalt, und ich begann zu zittern.
    »Mein Gott, ist das kalt«, sagte ich.
    Er stand auf und kam ans Bett. Einen Augenblick später fühlte ich das Gewicht einer Decke und einen weiteren Augenblick später ihre Wärme. »Der Arzt meinte, du könntest noch einen zweiten allergischen Anfall bekommen«, sagte er. »Sie haben dich an den Tropf gehängt, damit sich dein Kreislauf stabilisiert.«
    Wieder spürte ich einen Kälteschauer. »Mir war verdammt schlecht.«
    Ward nickte, und der Bildschirm tanzte in seinen Augen. Dann blickte er fort. Wieder wurde mir kalt, wobei die Kälte aus der Flasche über meinem Kopf zu kommen schien. Als der Schauder vorüberging, war ich seltsam traurig. Fast, als hätte mich eine schlechte Nachricht in Ohnmacht fallen lassen und ich käme gerade wieder zu mir, käme dorthin zurück,

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