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Paperboy

Paperboy

Titel: Paperboy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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mitgenommen, wirkte aber so glücklich wie seit jenen Tagen nicht mehr, als meine Mutter noch da war und die Dinge für ihn noch nicht in die falsche Richtung liefen.
    Es war kurz vor vier Uhr in der Frühe. »Eine sehr kluge junge Frau«, sagte er und wankte an mir vorbei die Stufen hinauf.
    Ich sah ihm nach, wie er die Veranda erklomm, in Zeitlupe beinahe, oben ein wenig ins Taumeln kam und dann ins Haus ging. Wenn ich mir vorstellte, wie er es mit Säufern aufnahm und anschließend mit ihr ins Bett stieg, musste ich lächeln. Offenbar hatte er einen schönen Abend gehabt.
    ALS ICH AM SPÄTEN MORGEN den Lieferwagen auf seinem Platz abgestellt hatte und ausgestiegen war, kam sie durch die Hintertür und schaute sich um, als hätte sie Angst, gesehen zu werden.
    »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, sagte ich.
    »Ich wollte mit Ihnen über diesen Abend bei Ihnen zu Hause reden«, sagte sie.
    »Das müssen Sie nicht«, sagte ich.
    »Ich will nur keine Missverständnisse.«
    »Wir müssen uns ja nicht verstehen«, erwiderte ich und wollte gehen, aber sie blieb, wo sie war, und wollte bleiben, bis alles gesagt war.
    »Wenn ich was trinke, kommen manchmal alte Probleme hoch und machen mir zu schaffen«, sagte sie.
    »Wir hatten beide getrunken«, sagte ich. Und weil sie immer noch vor mir stand und sich nicht vom Fleck rührte, sagte ich zu ihr: »Es war kein schlechter Abend.«
    »Ich wollte nur nicht, dass Sie sich falsche Vorstellungen machen«, sagte sie.
    »Habe ich nicht.« Dabei hatte ich keine Ahnung, wie die richtigen Vorstellungen aussehen könnten. Sie schaute mich an, als könne sie sich nicht so recht entscheiden.
    »Ich bin doppelt so alt wie Sie«, sagte sie.
    »Es ist alles in Ordnung«, sagte ich und wollte an ihr vorbei.
    »Ich wollte Sie nicht auf den Arm nehmen«, sagte sie. Wir standen in der Garage und schauten einander an. Es ist unangenehm, jemandem etwas vorzulügen, wenn beide die Wahrheit kennen. Damit stellt man die eigene Autorität infrage, selbst wenn man mit einem Kind redet.
    Schließlich wissen wir, was wir wissen.
    Die Zungenspitze erschien in ihrem Mundwinkel, dann biss sie sich auf die Unterlippe. »Ich muss zur Stechuhr«, sagte ich. »Ich habe mich gestern nicht ausgetragen.«
    Es war eine der unumstößlichen Regeln meines Vaters: Alle Angestellten mit Ausnahme der Redaktionsmitglieder mussten zur Stechuhr. Ich vergaß es etwa jeden zweiten Tag. Im Großen und Ganzen verdienten die Reporter und Redakteure zwar kaum mehr als die Lastwagenfahrer und Postboten, doch mein Vater zog eine Grenze zwischen den verschiedenen Berufsgruppen, da er glaubte, dass die Leute in den Redaktionen über jeden Betrug erhaben waren.
    Ich ließ Ellen Guthrie stehen und ging zurück ins Verlagshaus.
    AM NACHMITTAG rief sie mich zu Hause an. Ich war schwimmen gewesen, hatte danach ein Bier getrunken, dachte an Charlotte und schlief schon fast, als das Telefon klingelte.
    »Ich weiß einfach nicht, was ich mit Ihnen anstellen soll«, sagte sie.
    Ich sagte, die meiste Zeit wüsste ich das auch nicht.
    »Warum kommen Sie nicht zu mir herüber?« fragte sie.
    »Wohin?«
    »In mein Apartment«, sagte sie. »Gleich jetzt, wenn Sie wollen.«
    Ich sagte ihr, ich sei in einer halben Stunde da, aber nachdem ich aufgelegt hatte, fiel mir mein Vater ein, wie er gestern Nacht betrunken und glücklich nach Hause gekommen war, und ich beschloss, doch nicht zu ihr zu fahren. Ich habe noch nie zu denen gehört, die anderen den letzten Bissen von der Gabel nehmen.
    Ich duschte mich ausgiebig, ging in die Küche, holte mir noch ein Bier aus dem Kühlschrank und legte mich dann mit der Zeitung auf das Sofa im Wohnzimmer.
    Eine Stunde später rief sie wieder an. »Sie sind sauer auf mich, stimmt’s?« fragte sie.
    »Nein«, sagte ich.
    »Und warum kommen Sie dann nicht?«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich und hörte auf zu reden.
    Sie legte auf. Als sie eine Viertelstunde später wieder anrief, war mein Vater zu Hause und ging ans Telefon. Der Ton seiner Stimme änderte sich, als er ihren Namen hörte. Er lachte laut, dann flüsterte er und telefonierte fast eine halbe Stunde mit ihr. Anschließend kam er ins Wohnzimmer, unter dem Arm eine Flasche Wein für sich und eine Dose Bier in der Hand für mich.
    »Das war Ellen Guthrie«, sagte er und klang angenehm überrascht und froh. »Eine sehr kluge junge Frau«, sagte er.
    Und damit hatte er vollkommen recht.
    EINEN MONAT SPÄTER traf ich meinen Vater, als er in der

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