Paperboy
er.
Ich nickte, gab aber keine Antwort auf seine Frage. Ich glaube nicht, dass er eine Antwort hören wollte.
»Es gibt da ein Gerücht …«
Er führte seinen Satz nicht zu Ende, ließ die Worte im Raum hängen und wartete darauf, dass ich ihm sagte, dass es nicht stimmte.
»Es gibt immer Gerüchte, wenn etwas passiert«, sagte ich. Langsam begannen seine Finger, sich wieder zu bewegen, und als ich auf den Stein blickte, sah ich einige Blutstropfen. Und noch während ich hinsah, verliefen die Tropfen, wurden vom Stein aufgesaugt und machten ihn fleckig.
»Du hast dich geschnitten«, sagte ich, und er besah sich seine Hand, fand den Finger, an dem er sich verletzt hatte, und betrachtete ihn zuerst von der einen und dann von der anderen Seite.
»Ich habe gehört, dass etwas … Unziemliches vorgefallen ist«, sagte er, »und dass die Polizei die Sache vertuscht hat.«
»Warum sollte sie? Da unten kümmert es doch keinen, wer wir sind.«
»Ich weiß nicht«, sagte er. Er hielt den Finger unter den Wasserhahn. »Ist nur ein Gerücht, das mir zu Ohren gekommen ist.«
»Ich glaube, du solltest Gerüchten über deine Familie keinen Glauben schenken«, sagte ich.
Und wir schauten uns beide wortlos an. Das Wasser lief über seinen Finger, und wir beide wussten, wer ihm erzählt hatte, dass etwas
Unziemliches
in Daytona Beach geschehen war. Er drehte den Wasserhahn ab und wickelte den Finger in ein Geschirrtuch.
»Nichts Böses«, sagte er.
»Was hat sie gesagt?«
Er zuckte die Achseln. »Nichts Genaues, nur dass es da eine Geschichte geben soll, die von dem abweicht, was die Polizei sagt …«
Er schien selbst zu hören, wie schwach seine Worte klangen.
»Sie ist kein schlechter Mensch«, sagte er. Und jetzt wurde es in der Küche unangenehm, auf eine Weise, die sich vom üblichen Unbehagen unterschied, das wir in der Gegenwart des jeweils anderen verspürten, fast, als wäre eine stille Abmachung zwischen uns gebrochen worden.
»Dann sollte sie nicht leichtfertig irgendwelche Gerüchte weitertragen«, sagte ich.
»Sie ist nicht leichtfertig«, sagte er.
»Gerüchte«, sagte ich, »Gerüchte …«
»Es sind nicht ihre Gerüchte«, erwiderte er mit lauter Stimme, und da stand ich nun in der Küche und stritt mit meinem einundsechzigjährigen Vater über seine Freundin.
Ich sagte: »Ich gehe an den Strand«, drehte mich um und wollte gehen.
»Die Leute tun Ellen unrecht«, sagte er, und ich hörte ihre Stimme, hörte, wie sie ihm ins Ohr flüsterte. »Sie fassen es falsch auf.«
»Meistens nehmen einen die Leute so, wie man ist«, sagte ich.
»Darf ich offen sein?« fragte er. Ich wartete und wünschte mir, ich wäre aus der Tür gewesen, bevor all dies hier angefangen hatte. »Ellen glaubt, dass du vielleicht …«, er suchte nach Worten, »dass du etwas missverstanden hast …«
Ich rührte mich keinen Millimeter vom Fleck, wollte es ihm nicht leichter machen.
»Dass du geglaubt hast, sie wäre auf eine Weise an dir interessiert, wie sie es nicht ist.«
»Auf welche Weise?« fragte ich.
Er hob die Hand, als wolle er sagen, dass ich all dies wichtiger nehmen würde, als es eigentlich war. »So was passiert«, sagte er. »Sie weiß das.«
»Was passiert?«
Er dachte einen Augenblick nach, entschied sich für ein Wort: »Dass du in sie verknallt bist«, sagte er. »Junger Mann, ältere, erfahrene Frau … vielleicht wäre es für alle einfacher, wenn du sie nicht anrufen würdest.«
»Ich habe sie nicht angerufen«, sagte ich.
Er lächelte. »Dann gibt es ja kein Problem«, sagte er. Und er hob das Geschirrtuch an, um nachzusehen, ob sein Finger noch blutete. Ich drehte mich um, ging zur Tür und ließ sie hinter mir zuknallen.
EINEN MONAT SPÄTER wurde Ellen Guthrie zur stellvertretenden Chefredakteurin der
Moat County Tribune
befördert, und einen Monat darauf, an einem Freitag, zog sie im Haus meines Vaters ein.
Am nächsten Morgen traf ich sie vor dem Bad auf dem Flur. Ihr Haar war feucht, und sie hatte nur ein T-Shirt der University of Miami an, das kaum ihren Hintern bedeckte. Mein Vater war unten und briet Pfannkuchen und Würstchen fürs Frühstück. Sie wollten heute zum Fluss, Barsche angeln. Ellen Guthrie hatte in letzter Zeit ein außergewöhnliches Interesse für Barsche entwickelt.
Wir blieben einen Augenblick stehen, dann wich ich ihr aus, da ich sie im Vorübergehen nicht zufällig berühren wollte, und sie warf mir einen selbstgewissen, belustigten Blick zu, einen Blick, der
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