Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
denken sich nichts dabei, wenn sie alltäglich anonyme Postkarten und in merkwürdiger Blockschrift abgefaßte Nachrichten voll dunkler Drohungen und wüster Verwünschungen auf ihre Fußabtreter plumpsen hören. Für Bernard Levin, möchte ich annehmen, ist jeder Morgen gelaufen, an dem er nicht von erregten Bürgern aus allen Ecken und Enden des Landes in verschiedenfarbigen Tinten verleumdet und verflucht wird. Ich dagegen bin noch jung und unverdorben genug, um erstaunt zu gaffen und zu blinzeln, wenn ich mit den Beweisstücken von Verunglimpfung und dem Infarkt nahen Wahnsinn konfrontiert werde, zu denen Menschen sich von widersprechenden Meinungen hinreißen lassen.
Eine ansteckende und entmutigende Paranoia im ganzen Lande erfüllt die Rechten mit der fixen Idee einer marxistischen Verschwörung in der BBC und eines gefährlichen und unberechenbaren Strudels der schwatzenden Klassen, die darauf aus sind, die Demokratie zu untergraben; dieselbe Paranoia bringt die Linke zu dem Angstbild einerTory-Presse, die darauf aus ist, jede Opposition zu ersticken und lächerlich zu machen, monolithischer Wirtschaftscliquen und Verwaltungen, die ihre gefährliche und nicht repräsentative Herrschaft über die ohnmächtigen Massen ausüben. Das ist vielleicht nicht neu, aber der blinde Haß, den jede Seite für die andere empfindet, hat eine neue Qualität. Auf der Rechten registrierte man verwundert und verzweifelt den Umfang und die Tiefe der Abneigung, die die Linke für Mrs Thatcher empfand; auf der Linken schnappte man überrascht nach Luft angesichts des Ausmaßes der Verachtung, die die Rechte für Mr Kinnock oder sogar den ehemaligen Vorsitzenden Mr Heath übrig hatte.
Ich habe viele Politiker kennengelernt: Torys mit Gewissen, Herz und Verständnis für das Elend der Armen, und Sozialisten mit Verstand, Maß und Charme. Ich habe gesehen, wie konservative Abgeordnete sich in aller Freundschaft mit den Produzenten von
Panorama
und
Newsweek
unterhielten, und ich habe führende Labour-Politiker gesehen, die mit Zeitungsherausgebern Pastetchen aßen. Das ist doch nichts Besonderes, denken Sie vielleicht. Warum existiert dann aber hinter diesen überwiegend ausgeglichenen und maßvollen Menschen eine Phalanx von Anhängern, die so entsetzlich wütend sind, daß sie keine Ansicht über Einwanderung oder Kartelle hören und keine Meinung über Patriotismus oder Religion lesen können, ohne sofort zu Schere, Klebstoff und der gestrigen Ausgabe des ›Telegraph‹ zu greifen? Ich bin ganz entschieden für Leidenschaft; wir alle sind jederzeit für Leidenschaft. Die Hitze der Kontrahenten treibt die Turbinen dieser großen Demokratie an, daran gibt es gar keinen Zweifel. Vitriol dagegen kann nur deren Gehäuse durchätzen und die mächtigen Maschinen zu ruckartigem Stillstand bringen.
Ich vermute, Leserbriefschreiber werden von einer ganzbestimmten Frustration angetrieben. Wütend fragen sie sich, warum dieser oder jener für seine oberflächlichen und verworrenen Ansichten auch noch eine öffentliche Plattform bekommt. Ohne selber über eine solche Plattform zu verfügen, können sie nur bei ihren Schreibtischen Zuflucht suchen, wo sie dann die Bitterkeit und das angesammelte Gift eines ganzen Lebens verspritzen.
Und sie haben ja nicht unrecht. Warum
soll
denn ein kleiner Journalist jede Woche seinen Senf abgeben dürfen? Was befähigt ihn dazu? Warum sollte ein Schauspieler oder ein Schriftsteller Gehör erhalten, ein Schweißer oder Baukostenkalkulator aber nicht? Welches Recht hat diese erlesene Minderheit, ihre törichten Ideen darzulegen und auszudrücken? Also, wo Sie das jetzt sagen, muß ich zugeben, daß ich, verflixt noch eins, nicht die geringste Ahnung habe. Mir fällt nur auf, daß niemand das Recht von Schriftstellern oder Journalisten in Frage stellt, deren Meinung er teilt. Wenn wir derselben Meinung sind, applaudieren wir dem gesunden Menschenverstand und der wortgewandten Polemik; wenn wir anderer Meinung sind, schäumen und wüten wir gegen den abfälligen, ungehobelten Ton und die unnötigen Beschimpfungen, und wir fragen uns, warum diese Schreiberlinge sich überhaupt in der Welt zu Wort melden müssen.
»Wir müssen einander lieben oder sterben«, schrieb W. H. Auden, der beides tat. Vielleicht bemühen unser neuer Premierminister und die Tradition des
One Nation Toryism
, der er angeblich entstammt, sich ja darum, den Mundgeruch der Tagespolitik etwas zu mildern. Der Royal Mail erwiese er damit
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