Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
geben, weltweit für Ordnung zu sorgen, und dennoch werden sie jedesmal verspottet und verleumdet, wenn sie genau das versuchen.
Als Großmacht sind sie es gewohnt, etwas in der Hinterhand zu haben – die Doppelnull; massive Überlegenheit in konventioneller Bewaffnung und nukleare Kampfkraft ohnegleichen. Aber aus ihrer Hinterhand können sie kein Kapital schlagen. Nuklearwaffen gegen eine Nichtnuklearnation anzuwenden, würde als wahnsinniger Genozid angesehen; ihre sämtlichen konventionellen Truppen in einer Region zu konzentrieren, wäre logistisch unmöglich und würde in anderen Weltgegenden gefährliche Lücken klaffen lassen. Ihre Hinterhand verfällt, und sie kommen sich fürchterlich verarscht vor. Plötzlich sieht jeder Zocker, der genug Chips hat, um bei aufeinanderfolgenden Drehungen des Rades große Verluste wegstecken zu können, so aus, als könne er die Bank sprengen. Die Chancen sind nahezu ausgeglichen, und Amerika hat seinen Vigorish verloren. Es beschwert sich bei der ganzen Welt, daß es herumgeschubst wird, und jedermann lacht, wenn er hört, wie der Riese sich beklagt, daß man ihn am Knöchel zwickt. Nächstes Mal, schwört dieser dann, nächstes Mal wird er miteiner Dreifachnull kommen – SDI, Laserstrahlen von Satelliten, was er sich bis dahin halt einfallen läßt; nächstes Mal wird er sich nicht mehr die Hammelbeine langziehen lassen.
Aber »nächstes Mal« ist der Schrei des Spielers, der unwiderruflich verloren hat. Wie der amoklaufende Computer am Ende des Films
War Games
entdeckt: Der einzige sichere Gewinnzug besteht darin, nicht zu spielen. Vielleicht merken das auch die Amerikaner und entscheiden sich das nächste Mal, gar nicht erst zu spielen. Wer könnte ihnen das verdenken?
Ich muß jetzt los – das Kasino öffnet. Ich bin ziemlich wild darauf, mein neues System auszuprobieren. Wenn es funktioniert, kann es gut sein, daß Prinz Rainier noch vor Ende der Woche meinen Wagen wäscht und mich mit »Sir« anredet.
Patriotische Glosse
Im Laufe der Jahre hat es eine ganze Reihe geistreicher Aphorismen über den Patriotismus gegeben. Ich glaube, Clemenceau oder jemand, der ihm ähnlich sah, meinte mal, ein Patriot liebe sein Land, ein Nationalist hasse alle anderen. Doctor Johnson wird bekanntlich die Sentenz zugeschrieben, der Patriotismus sei die letzte Zuflucht des Halunken, wohingegen der Lyriker Roger McGough der Ansicht war, bei Patrioten sei »einfach ’ne Schraube locker«.
Die verrückteste, wildeste und verruchteste Vorstellung von Patriotismus erhält man vielleicht modo negativo, indem man definiert, was unpatriotisch ist. Man hat behauptet, auch wenn Ihnen das fast unglaublich vorkommen mag, es sei unpatriotisch, wenn Nachrichtensprecher oderJournalisten die Wendung »britische Truppen« statt »unsere Truppen« verwenden.
Ich habe dieses Land enorm gern, seine Sprache, seine Landschaft, seine Exzentrik, seine Traditionen, seine Bräuche und seine Menschen. Es ist schließlich meine Heimat. Wenn ich ehrlich bin, kann ich nicht behaupten, daß ich als gebürtiger Jugoslawe ständig bestürzt an den Fingernägeln knabbern würde, weil ich nicht als Brite geboren wurde – wer kann das schon? Aber ich empfinde echte Liebe zu meiner Heimat, und das bedeutet Patriotismus. Was ich an Britannien ganz besonders bewundere, ist das Ausmaß der seinen Bürgern gewährten freien Meinungsäußerung. Ich finde es daher besorgniserregend, daß in letzter Zeit zunehmend eine merkwürdige Ketzerei ins öffentliche Leben eingedrungen ist. Sie erscheint in Gestalt des durchgeknallten Glaubens, jeder öffentliche Gebrauch der Meinungsfreiheit sei automatisch ein Mißbrauch.
Als die Demonstrantinnen vor Greenham Common zelteten, konnte man von Politikern und interessierten Beobachtern oft die Bemerkung hören: »In Rußland könnten die sich das nicht erlauben.« An derselben Einsicht ließ man die Menschen teilhaben, die sich Anfang dieses Monats versammelt hatten, um gegen den Golfkrieg zu demonstrieren. Egal, welche Einstellung man zu dieser Auseinandersetzung hat, Briten haben überall das Recht, sich friedlich zu versammeln, um ihre Besorgnis und ihre abweichenden Meinungen kundzutun. Nichtsdestoweniger wurde das Argument hervorgeblökt: »Im Irak könnten Sie sich das nicht erlauben, wissen Sie«, als müßten die Demonstranten deswegen sofort auf die Knie fallen, Gott danken, daß er sie zu Engländern machte, und schwören, nie wieder anderer Meinung sein zu wollen
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