Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
Reichen die Pflicht haben, konservativ zu wählen und es nur den neidischen, verlotterten und unwürdigen ärmeren Bevölkerungsgruppen nachzusehen, wenn sie für Labour stimmen.
Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich mich vom Arbeiten abhalten lassen würde, bloß weil ich mehr Steuern zahlen müßte: Krankenschwestern, Lehrer, Unfallsanitäter und Feuerwehrleute bekommen, wenn sie höhere Löhne fordern, immer zu hören, sie hätten eine Berufung und dürften die Öffentlichkeit nicht erpressen; diese Bestimmung sei
ihr
Arbeitsanreiz. Bei Spitzenverdienern darf mananscheinend eine andere Logik anwenden: die können damit drohen, außer Landes zu gehen (gleichbedeutend mit Streik, wenn Sie so wollen), ohne daß sie dafür in der Zeitung auseinandergenommen werden.
Ich berufe mich nicht auf eine erhabene Moral. Ich bin’s zufrieden, wenn man mich für einen Labour-Anhänger hält, weil ich gierig bin. Ich bin gierig nach einem Britannien, das gerechter, höflicher, toleranter, besser ausgebildet und allgemein lebensfroher ist, als das seit vielen Jahren der Fall ist. Aber streiten wir uns nicht darum: es ist, wie gesagt, eine Sache der Gewichtung. Ich halte nicht alle Torys für böse, dumm oder verdammt; das mindeste, was ich andererseits von Anhängern der Konservativen erwarte, ist die Einsicht, daß auch die Labour Party keine schurkischen Pläne in der Hinterhand hat. Was auch geschieht, die Kreidefelsen werden stehenbleiben, und während des Tennisturniers wird es in Wimbledon regnen, Gott sei Dank.
Abschnitt fünf
LATEIN!
Programmhinweis
Das Folgende wurde für eine Inszenierung von
Latein!
am New End Theatre in Hampstead geschrieben, die Richard Jackson, ein guter Freund des Stückes, 1989 vorbereitet hatte (zusammen mit
Fräulein Julie
… auf dem Programmheft stand in fetten Lettern »Doppelvorstellung: Strindberg und Fry«, was ich einfach köstlich fand).
Jetzt sucht
Latein!
mich wieder heim. Es ist wirklich hart für einen Mann, der in der Welt vorankommen möchte, sich den Respekt von seinesgleichen zu erwerben trachtet, die Zuneigung seiner Freunde und das Bargeld seiner Kunden, wenn er plötzlich mit den Taten seiner heißen Jugend konfrontiert wird. Man begegnet gleichsam seinem vergangenen Selbst. Ich versuche den Eindruck zu erwecken, das Stück wäre das frühreifste Juvenilium, das die Welt je gesehen hat: In Wirklichkeit habe ich
Latein!
mit zweiundzwanzig geschrieben und hätte es, wie Sie denken mögen, vielleicht besser wissen sollen.
In Cambridge hatte ich zwei Freunde, Caroline Oulton und Mark McCrum, die ein neues Theater gründen wollten, oder eher einen »Platz«, wie wir das in jenen Tagen seltsamerweise nannten. Dabei handelte es sich um einen L-förmigen Raum, der »Spielzimmer« genannt werden sollte, neue Stücke waren gefragt, und, angestiftet von diesen beiden studierenden Impresarios, wurde während der langen Trimesterferien 1980
Latein! oder Tabak und Knaben
geschrieben, um ihm seinen vollen, marlowesken Namen zu geben.
Komischerweise kümmerte mich der Stoff des Stückes am allerwenigsten. Ich war lange vorher zu der Ansicht gelangt,daß es einen gewissen Reiz haben könne, in der ersten Szene eines Stücks das Publikum so anzusprechen, als bestünde es aus fiktionalen Figuren, und dann durch eine bloße Veränderung der Beleuchtung plötzlich die vierte Wand theatralischer Distanz vor ihm aufzubauen – ein blitzschneller Wechsel vom Teilnehmer zum Zuschauer. Bei der Wahl des Themas einer englischen Prep School hatte ich das Grundprinzip aller Romanciers und algebraischen Aufgabenlöser befolgt: »Schreib hin, was du weißt.« Mit Prep Schools kannte ich mich aus. Mit sieben Jahren war ich auf eine solche, inzwischen leider geschlossene Institution geschickt worden, und später, in dem Jahr vor Beginn meines Studiums, hatte ich an einer anderen unterrichtet.
Keinesfalls sollten Sie heute abend mit dem Eindruck aus dem Theater laufen, Chartham School, der
locus
von
Latein!
, »spiegle« in irgendeiner Hinsicht diese beiden respektablen und unheimlichen Institutionen. Nichts dergleichen.
Latein!
zu schreiben war vielmehr ein Experiment, mit den Techniken des Theaters und der Komödie, in Kombination mit dem nicht nur skandalösen Bestreben des Studenten, zu schockieren. Tod, Homosexualität, Inzest, Sadismus und Thatcherismus hatte man allesamt jahrelang stolz auf der Bühne vorgeführt, und die Sinne des Theaterpublikums waren ziemlich abgestumpft
Weitere Kostenlose Bücher