Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
Opernstar: Die Engagements, die sie in Mailand, New York, Paris, Bayreuth und London als Heldentenor annahm, ließen ihr nur sehr wenig Zeit für ihre Kleinen. Ich weiß noch, einmal, als sie gerade die Rolle des Wotan für die später als »die dämliche Inszenierung der
Walküre
von Chalfont St Giles« in dieGeschichte eingegangene Produktion einstudierte, erzählte sie mir, nur langweilige Leute könnten sich je langweilen. Solche Sachen sagte sie ständig, unsäglich ödes Weib, das sie war.
Aber, meine Lieben, wenn man mal darüber nachdenkt, und eigenartigerweise auch wenn man es sein läßt, was um Himmels willen ist eigentlich Langeweile? Ist sie ein pathologischer Zustand, gewissermaßen der Schmerz, der einen vor Müßiggang warnt? Ist sie eine psychische Störung wie die klinische Depression? Ist sie vielleicht eine dem Schuld- oder Schamgefühl verwandte Emotion? Ist Spannung dasselbe wie Langeweile? Wenn wir darauf warten, daß sich ein Theatervorhang endlich hebt, ist dieses Gefühl der Frustration dann Langeweile oder Ungeduld? Frage ich mich. Nun, da Sie selbst keine Antwort zu wissen scheinen, fällt es wohl mir anheim, die Langeweile für Sie zu analysieren. Es ist ein erheiterndes und erlesenes Paradox für diese unsere grillenhaft eingerichtete Welt, daß jene, die von dieser Untersuchung am meisten profitieren könnten, jene nämlich, die selbst am meisten zur Langeweile neigen, das Radio in ihrem Ennui längst ausgeschaltet haben werden, während Sie als vielerprobter Zuhörer, ganz Interesse und ohrengespitzte Aufmerksamkeit, die Sie sind, vermutlich gar nicht wissen, was Langeweile ist.
Nun, nehmen wir ein Beispiel. Mich langweilt das Reisen ganz unglaublich. Da ich selbst außerstande bin, ein motorisiertes Gefährt zu führen, bringt mein Fahrer Bendish mich überall hin, und ich sitze neben ihm und schaue teilnahmslos zu, wie die Landschaft sich – wie hatte Morgan Forster das ausgedrückt? – »… wie Porridge hebt und ineinanderfließt«, genau, so war’s, während wir sie mit dem Wolseley umrühren. Die Untätigkeit, die Passivität halte ich nicht aus. Lieber schaue ich mir ohne einen Tropfen Gyles Brandreth an. Ich glaube, es hat etwas damit zu tun, daßman so ohnmächtig ist. Das Leben eines Passagiers ist keineswegs angenehm. Ich werde verdrießlich, spitzfindig und hochnäsig, mißmutig, mürrisch und miesepetrig. Eines Tages, als ich in genau so einem Schmalz aus Abstumpfung und Jammer versunken war, dachte ich, im Leben so untätig zu sein wie ich in meinem Wagen, müsse hienieden der Hölle am nächsten kommen, sofern man nicht gleich nach Oxford ziehen will. Kinder langweilen sich so schnell, weil sie im übertragenen Sinn nie am Ruder sind. Arbeitslos zu sein, durchschauerte es mich, kommt einer schlagartigen Zurückversetzung in die Kindheit gleich. Man wird genährt, hat ein Dach über dem Kopf und ist im allgemeinsten Sinn versorgt, und das will ich auch wirklich hoffen, aber da ist diese wütend rasende Langeweile. Es wäre wie eine nicht enden wollende M 25. Um die Lichter kreisend, aber machtlos, das Lenkrad herumzuwerfen und sich selbst dahin zu lenken, wo immer man gebraucht wird.
Kürzlich haben wir allerdings die intra-automobile Langeweile überwunden, indem wir uns Spiele ausgedacht haben, die mir ein Ziel gaben und Bendish von den aufdringlichen Sierras ablenkten, die in seinem Auspuff zu parken versuchten … warum sind das eigentlich immer Sierra-Fahrer? Vielleicht unterbindet der Winkel der Kopfstützen bei Wagen dieser Marke die Übermittlung bestimmter Nervenreize und verursacht so eine Art geistiger Zurückgebliebenheit … egal, das Lieblingsspiel, mit welchem Bendish und ich uns die Zeit vertreiben, heißt Mattishall. Dabei wird einer von uns Mattishall, ein schlauer, international agierender Spion, der sich als eine wichtige Persönlichkeit aus der Welt der Kunst verkleidet hat. Der andere übernimmt die Rolle von Melvyn Bragg und muß versuchen, per Interview herauszubekommen, für wen sich Mattishall gerade ausgibt. »Mattishall, Mattishall«, sagt Bendish etwa – und er macht Mr Bragg wirklichtäuschend ähnlich nach –, »Mattishall, Mattishall: Wer, würden Sie sagen, hat auf Ihre künstlerische Entwicklung den größten Einfluß ausgeübt?« »Nun«, sage ich dann beispielsweise, »im Alter von zwölf Jahren wurde ich zu einer Ausstellung neoplastizistischer Kunst in Belgien mitgenommen, wo De-Stijl-Arbeiten von Mondrian und Schumacher
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