Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
dagegen gleicht York oder Chester oder Norwich oder London – absurd enge, verwinkelte Straßen, in denen Ortsfremde sich nie zurechtfinden, keine Parkplätze, keine Radrennbahn, dafür aber Kirchen, Schlösser, Kathedralen, Zollämter, die Überbleibsel alter Armenviertel und alter Paläste. Unsere Vergangenheit ist hier gegenwärtig. Aber nicht nur unsere Vergangenheit, diese Städte sind keine Museen, sie enthalten ebenso unsere Gegenwart: Sozialwohnungen, Bürohäuser und zweispurige Radwege. Sie sind lebendige Angelegenheiten, Städte wie Sprachen. Wenn wir Englisch sprechen, geben wir der alten Sprache der King James Bible, Shakespeares, Johnsons, Tennysons und Dickens’ im selben Atemzug Laut wie der neuen Sprache der Werbung, der von
Blankety Blank
und
Any Questions
. In unserer Sprache steht das Barbican Centre in der Nähe von St Paul’s.
Bei den Franzosen, die die Sache fürchterlich versaut haben, sieht das alles natürlich ganz anders aus; der Grund dafür, daß außer den einfältigsten alle Leute der Meinung sind, Paris sei eine absurde und sinnlose Stadt, ist, daß es sich seit fünfzig Jahren nicht nennenswert verändert hat. Im Stadtzentrum sind keine hohen Gebäude zugelassen. Es ist dieselbe Stadt, die man im 19. und frühen 20. Jahrhundertzu Recht liebte, als sie wirklich altertümlich und modern zugleich war. Jetzt ist sie bloß noch altertümlich. Auch das lächerliche Französisch wird kontrolliert und reguliert: Worte werden von einem Ausschuß von Akademikern vorgeschrieben oder genehmigt, deren Auffassungsgabe ungefähr der eines nicht besonders hellen Bleistiftspitzers entspricht.
Natürlich fordern die Esperantisten nicht, alle sollten nur noch Esperanto sprechen, sondern meinen bloß, als Zweitsprache sei es die beste Wahl, ebenso wie niemand vorschlägt, alle Städte sollten aussehen wie Milton Keynes. Milton Keynes gibt einfach das ideale Konferenzzentrum ab und Esperanto die ideale Konferenzsprache. Und in dieser traurigen Welt muß man ganz schön viel konferieren. Leuten, die noch nie im Leben ein Buch gelesen haben, rumort der Gedanke im Hinterkopf herum, daß man doch, da es keine großen literarischen Werke auf Esperanto gibt, gut und gern behaupten könne, es sei bescheuert, diese Sprache zu lernen. Mumpitz. Genausogut könnte man behaupten, niemand solle im australischen Perth wohnen, da es dort weder Paläste noch Kathedralen gebe; das ist irrelevant, snobistisch und unlogisch – aber das sind die meisten Leute ja auch, oder? Perth ist fleißig dabei, seine eigenen Paläste und Kathedralen zu bauen.
Ich bin ein alter Mann voller Schleim, Whisky, Honig und Zitrone, aber ich habe auch genug Zuversicht in die Gegenwart und Hoffnung für die Zukunft, um zu sagen, laßt uns um Gottes willen Esperanto lernen und damit in Milton Keynes konferieren. Und nun lassen Sie mich allein, ich muß mich in meinem Schlafzimmer einigeln, zusammen mit einer neuen Ausgabe von Ciceros
Legibus
. Wenn Sie nicht haben – hatschi!
Trefusis über die Langeweile
STIMME: Donald Trefusis, Prinz-Miroslaw-Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Cambridge, außerordentlicher Fellow am St Matthew’s College, Gast-Fellow am St-Østrogen-Institut, Kopenhagen, und jüngst berufener Hausdialektiker bei Selfridges, spricht mit entzückender Offenheit.
Ihnen allen ein großartiges, und das angemessen prachtvoll. Wissen Sie, es ist komisch, aber dieses leichte Muskelzerren scheint sich erledigt zu haben. Ich kann meinen Arm jetzt schon wieder über den Kopf heben. Der nächste Schritt wird sein, den Arm wieder an der Schulter zu befestigen, und dann wird’s mir so gutgehen wie … wie einer Made im Heuhaufen. Aber ich darf mich wirklich nicht beklagen: Was soll mir schon etwas ausmachen, solange ich reich bin? Reichtum ist unschätzbar, finden Sie nicht auch?
Wir haben noch ein paar Minuten, also würde ich Ihre Zeit gern mit einem ziemlich dahergefaselten und unstrukturierten Diskurs über ein Thema verplempern, das, wie ich weiß, vielen von Ihnen da draußen sehr am Herzen liegt, die Sie gerade im Bett liegen, einkaufen fahren, in der Küche sitzen, in der Wanne planschen, im Schuppen wühlen, Ihre Rute über dem Wasser baumeln lassen oder, wer weiß, beim Angeln sitzen – spulen Sie zurück und löschen Sie das Unzutreffende –, und das ist das Thema Langeweile.
In jenen Tagen, da meine Mutter noch sang, war sie ein vielbeschäftigter und beliebter
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