Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
niedergelassen. Dank der umsichtigen Vergabe von Bakschisch …« – das ist nichts anderes als Bestechung, Jungs – »… haben wir es blitzschnell geschafft, die marokkanische Staatsbürgerschaft anzunehmen, wofür wir natürlich auch zum Islam übertreten mußten, was eigentlich ziemlich Spaß macht. Mein neuer mohammedanischer Name lautet Ghanim Ibn Mahmud, und Rupert, den ich offiziell adoptiert habe, heißt Abu Hassan Basim: echt ’n Brüller, was? Sein Geld leistet uns hier draußen gute Dienste, wir haben einerecht ordentliche Villa am Meer gekauft, direkt vor den Toren von Tanger, und den größten Teil des Tages verbringen wir am Strand und machen Liebe–«
(dreht hastig das Blatt um)
»–voll Sandburgen und gehen viel schwimmen. Die Luft hier draußen ist ganz außerordentlich, ich brauch’ mich kaum noch zu rasieren, und meine Stimme erhebt sich allmählich zum Diskant. Das muß an der vielen Eiscreme liegen. Wir werden langsam zur lokalen Berühmtheit: Rupert nennt man ›Junger Hassan mit den blauen Augen und der Million Goldstücke‹, und ich laufe als ›Ghanim, den Allah mit einem Sohn und keiner Frau gesegnet hat‹. Jetzt muß ich aber los. Viel Glück als Direktor, körbevoll Grüße an Chartham, und kommen Sie uns in den Ferien doch mal besuchen. Bis dahin, gelobt sei Allah, der wohltätige Herrscher, der Schöpfer des Weltalls, der Herr der drei Erdkreise, der die Erde so flach wie ein Bett erschaffen hat. Gesegnet seien unser Herr Mohammed, der Herr der Menschheit, und seine Wettkampfbetreuer. Gebete und unentwegter Segen, und bis zum Jüngsten Tag sei die Gnade im Namen Allahs, des Mitfühlenden und Mitleidenden, mit euch allen. Amen!« Der Brief ist unterzeichnet mit »Ghanim Ibn Mahmud und Abu Hassan Basim, mit vielen Grüßen und Küssen«.
(faltet den Brief zusammen)
Nun, Jungs, dies ist ein trauriger Brief. Auch ihr konntet wahrscheinlich zwischen den Zeilen die Einsamkeit, die Verzweiflung und das qualvolle Elend eines Engländers spüren, der seine Nationalität und seine Religion verloren hat, mit anderen Worten, sowohl seine tatsächliche als auch seine seelische Identität. Der Ton ist unmißverständlich; sie haben die einzigen Dinge verloren, die sie auszeichneten, und man kann nur Mitleid mit ihnen haben. In kurzer Zeit werde ich euch bitten, gemeinsam mit mir zu Gott und seinen mystischen Heerscharen der Engelund Erzengel, der Pastoren und Meßdiener, der Heiligen und Märtyrer zu beten, und gemeinsam wollen wir die heilige Gemeinschaft anflehen, unsere verlorenen Freunde zum Glauben zurückzuführen. Als Briten geboren zu sein, hat man zu Recht gesagt, heißt, in der Lotterie des Lebens den ersten Preis gewonnen zu haben. Als Christ getauft zu sein, könnte ich hinzufügen, heißt, in der Lotterie des Lebens nach dem Tode den ersten Preis gewonnen zu haben, eine ansehnliche Investition. Diese beiden Unglücklichen haben ihre Lose weggeworfen und sind nun verloren. Sie glauben, Jungs, sie glauben, sie hätten Freiheit und Glück gefunden, aber wir alle wissen doch, und sie wissen es im Grunde ihres Herzens auch, daß sie nur Ausschweifung und Ruin gefunden haben. Geld, Sonne und Sinnenlust, das ist alles, was sie haben, und das ist eitel Tand, Jungs, eitel Tand. Cartwright oder Hassan oder wie er jetzt auch heißen mag, hat sich sogar dauerhaft um die beste Bildung gebracht, die einem Katholiken hierzulande verstattet ist. Möge das Beispiel dieses unseligen Paars uns allen eine Lehre sein … ja, Elwyn-Jones, was ist? Ja, woher soll ich denn wissen, wieviel ein Kinderflug nach Marokko kostet? Cartwright konnte sich das bekanntlich leisten, zum Schaden seiner unsterblichen Seele … hört auf zu flüstern, da drüben … also, wenn ihr nächstes Jahr an euren neuen Schulen anfangt, denkt gelegentlich … wo willst du denn plötzlich hin, Potter? Ich bin noch nicht fertig. Figgis? Elwyn-Jones? Was habt ihr denn …? Kinnock? Whitwell? Ihr alle! Wo wollt ihr denn hin? Kommt zurück! Ich bin noch nicht fertig! Kommt zurück!
Das Saallicht erlischt langsam.
Ich wollte euch doch noch von Gottes …
Stille.
BROOKSHAW
sieht sich verzweifelt im für ihn jetzt leeren Klassenzimmer um. Er zieht
CLARKES
Brief wieder heraus, betrachtet ihn und setzt sich an den Tisch. Er beginnt einen Brief zu schreiben, den er laut mitspricht. Dem Publikum sollte jetzt zum ersten Mal richtig auffallen, daß die Tafel mit kindischem Gekritzel bedeckt ist:
»Puer magistrum amat.
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