Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
zu sagen.«
Nachdem Ruhe eingekehrt war, fuhr er fort: »Sie acht haben dieses Trimester bereits meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen.«
Sechzehn Lippen verzogen sich zu acht unansehnlichen Grimassen.
»Schauen Sie sich an. Wer sind Sie? Desorientiert und ohne jede Überzeugung, unschlüssig und träge: schniefende Public-School-Buben auf der Suche nach Street Credibility. Oder sind Sie ranzige bürgerliche Emporkömmlinge, die sich als Aristokraten ausgeben möchten? Ein stinkender alter Mann lädt Sie zum Tee ein und bittet Sie, ein ausgefallenes Tier mitzubringen. Das tun Sie. Sie stellen nicht etwa seinen Geisteszustand in Frage, Sie tun es einfach. Er tätschelt Ihnen unverschämt das Gesäß, und Sie sagen nichts. Sie haben keine Zuversicht, kein Selbstvertrauen, kein Gefühl der Zugehörigkeit zu dieser Welt, kein Interesse an der Menschheit, keinen Begriff Ihrer selbst.«
Unruhig rutschte ich hin und her. Das klang nicht gerade nach einer Rekrutierungsansprache.
»Ich hege keinen Zweifel daran, daß Sie so bleiben werden, wie Sie sind. Sie werden sich kein bißchen ändern.«
Ah, das klingt schon besser, dachte ich. Jetzt erteilt er uns anscheinend unsere Instruktionen.
»Während Ihrer drei Jahre an diesem Ort werden Sie Ihren Verstand aufs haarsträubendste in Aspik einlegen. Sie werden sich von nichts überzeugen lassen, für nichts engagieren, nichts glauben, für nichts Mitleid empfinden und mit nichts sympathisieren. Die Geschichte wird weitergehen: Städte werden fallen, ganze Völker hungern, die Welt wird sich wandeln. Sie jedoch werden keinen Anteil daran haben. Sollte man Sie je etwas fragen, werden Sie die gerade gängigen Klischees wiedergeben, aber nichts von sich preis. Sie werden in die Welt hinausgehen und Ihre Jobs in der Werbebranche, der Industrie, an der Börse und im Bildungswesen bekommen. Sie werden leben und sich verhalten, als hätte es diese Teestunde nie gegeben. Sie werden schlafen. Fest schlafen. Denken Sie über meine Worte nach. Und jetzt trollen Sie sich.«
Das waren herbe Befehle. Er wollte, daß wir getrennt von und doch in der Welt lebten. Wir sollten Schläfer sein. Wie hatte er es formuliert? »Sie werden sich von nichts überzeugen lassen, für nichts engagieren.«
Nun, meine Generation hat getan, wie ihr befohlen wurde. Wir haben unser Mäntelchen nach dem Wind gehängt und mit dem Rudel geheult. Ich muß gestehen, nach drei auf diese Art und Weise verbrachten Jahren wurde ich ungeduldig, wollte kontaktiert, aufgeweckt und eingesetzt werden. Ich will Sie nicht mit den technischen Einzelheiten der »Branche«, wie wir Spione sie nennen, behelligen, aber schlußendlich müssen Sie Ihre Deckidentität
werden
, sie denken, atmen, glauben. Eine Menge Maulwürfe sind nach zu langer Zeit nicht mehr einsatzfähig, weil sie ihre fiktionalen Identitäten mit solcher Vollkommenheit angenommenhaben, daß sie ihren ursprünglichen Auftrag entweder vergessen oder widerrufen haben. Ich nicht, hoffe ich. Nicht meine Generation. Wir sind ganz schön zäh. Wenn der Ruf uns ereilt, werden wir da sein. Bis dahin abonnieren wir die ›Daily Mail‹, erkundigen uns nach den Vorteilen von Stiftungshypotheken, und niemand wird je darauf kommen, daß wir in Wirklichkeit vor Leidenschaft, Vitalität und Enthusiasmus brodeln. Laßt uns nur nicht zu lange warten, sonst ist die Welt vorbei, und wir haben sie verpaßt.
Das Buch und die Brüderschaft
Eine weitere Rezension für den ›Listener‹.
The Book and the Brotherhood:
Iris Murdoch, Chatto & Windus, £ 11.95.
Iris Murdoch. Immer habe ich diesen Namen bewundert. Die irisierende, sich öffnende Blüte der »Iris« und die ehrliche, moralische Autorität von »Murdoch« erwecken so umfassendes Vertrauen. Und was für Titel sie mit diesem ausgezeichneten Etikett versieht! Sie muß einfach glühen vor Befriedigung angesichts dieser Liste:
Das Feuer und die Sonne, Die Netten und die Guten, Die Roten und die Grünen, Die Diener und der Schnee.
Wirklich schade, daß Thackeray ihr mit
Die Rose und der Ring
zuvorgekommen ist. Und jetzt haben wir
Das Buch und die Brüderschaft
, vielleicht der bislang beste Titel. Ich sage das nicht im Spaß: Titel sind Autoren sehr wichtig und Lesern übrigens auch. Die Worte dieses Titels gehen einem beim Lesen im Hinterkopf herum wie Trommeln in der Ferne, genauso wie im Hinterkopf der Romanfiguren.
Teilweise genährt von Oxbridgeliteratur, teilweise von verschwommenen Vorstellungen einer
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