Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
Ikonographie zum Zuge kommen, die die Erzählung spielerisch relativiert: Bücher, Türme, Wasser, Blut, der Mond und der Tod formen ein großes Arkanum der Bildwelt, die wagnerianische, hellenische und freudianische Legenden von Blutsbrüderschaft, Entsagung, Runen, Orakeln und Erotik impliziert.
Die Geschichte ist bezwingend, und die Figuren sind fesselnd. Die Frage ist müßig, wie wahrscheinlich es überhaupt ist, daß jemand ein Buch schreibt, das die Welt verändern oder in unseren achtziger Jahren auch nur eine interessierte Augenbraue hochtreiben könnte (wenn Crimond eine Fernsehserie produzierte oder ein Popalbum komponierte, hätte die Brüderschaft vielleicht wirklich Grund zur Sorge), aber dem Roman zuliebe sind wir bereit zu akzeptieren, daß das Buch
wirklich
eine Bedrohung darstellt. Crimond, der über ihm brütet wie ein schweigsamer, geflügelter Rächer und seinen Freunden eine Heidenangst einjagt, ist dann am überzeugendsten, wenn er außerhalb des Geschehens bleibt, wo er sich aber auch die meiste Zeitbefindet. Die anderen Figuren reden eine Menge und enthüllen ihre verschiedenen Geschichten, werden aber nicht präzise definiert oder »gerundet« im Sinne des guten alten Forster. Es mag komisch klingen, wenn ich sage, das spiele in diesem »realistischen« modernen Roman doch keine Rolle, aber es ist wirklich egal, ebenso wie uns die gelegentlich gestelzten und melodramatischen Dialogpassagen nicht ernstlich stören: Der Plot, die Ideen und der »konkrete Fluß interpenetrierender Intensitäten«, wie T. E. Hulme das so nett formulierte, befördern einen genauso wirkungsvoll in eine reale Welt wie all die Romantechniken des Realismus. Wie immer entwirft Iris Murdoch hier bessere Männer, als irgendein mir bekannter Romanautor Frauen entwerfen kann. Das Merkwürdigste an ihrer Brüderschaft ist bloß deren Humorlosigkeit. Alte Freunde können sich jederzeit zum Lachen bringen: Die Crimondsgesellschaft scheint seit Jahren nicht mehr zusammen gelacht zu haben.
Bei Iris Murdoch
muß
man natürlich schuldbewußt argwöhnen, daß sich irgendwo hinter dem zeitgenössischen Drama eine sauber gearbeitete platonische These verbirgt und daß einem, weil man sie nicht entdeckt hat, das Wesentliche entgangen ist. Auf jeden Fall ist dies ein wunderbar strukturierter Roman, der sich mit angenehmer Balance und zarten inneren Motiven und Rhythmen durch drei Jahreszeiten bewegt, aber er ist kein Kreuzworträtsel, nichts ist versteckt oder schelmisch verhüllt worden. Der Stil ist durchweg anschaulich, selbstsicher und flüssig. Ihre Prosa erinnert mich an Wasser: unablässig von sanftester Energie vorangetrieben, mit sich selbst auf Dutzende verschiedene Weisen verbunden, absolut klar und mühelos: nicht mit einem Knall nachhallend, sondern einem Klingen. Ein solcher Fluß kann Felsen kraftvoller bewegen als Dynamit. Einige Beschreibungen, der graue Papagei inGerards Kindheit etwa, der bei Sonnenuntergang über eine Wiese gleitet, gehören zum Schönsten, was heutige Prosa leisten kann, indem sie äußere Beschreibung und innere Entwicklung mit außergewöhnlichem Feingefühl verbinden. In einem Roman über die Bindungen, die Menschen mit Ideen eingehen, Ideen mit Menschen und Menschen untereinander, und über das Blut, das in und zwischen ihnen fließt, können solche absoluten Passagen die Ideen und Menschen des Romans durch Kunst und Sprache und Bildwelt mit der Wahrheit verknüpfen, daß das Leben des Verstandes dem Leben der Seele untergeordnet ist. Dem intellektuellen und politischen Absolutismus widersetzt sich die Vollkommenheit des Unvollkommenen. Das ist eine beachtliche moralische und künstlerische Leistung. Oxbridgeleute mit Oxbridgesorgen vielleicht, aber das ist Iris Murdochs Milieu und muß auch nicht unbedeutender sein als Jane Austens Regency-Pfarrhäuser oder Tschechows verfallende russische Landgüter.
Brand X
»Mit Wonne versenke ich mich in Mysterien«, bekennt Sir Thomas Browne in der
Religio Medici
. Ich weiß, was er meint. Kaum ein Zeitvertreib ist schöner als der, es sich mit einem guten Krimi gemütlich zu machen. Aber solche Mysterien sind zu durchdringen, sie sind »rationaler Erklärung zugänglich«, wie Sherlock Holmes sagen würde. Übrigens ist Holmes im Moment wöchentlich in einer neuen Inkarnation auf ITV zu sehen, gespielt von Jeremy Brett, der es überwunden hat, daß er als junger Mann – um Anthony Burgess zu zitieren – »zufälligerweise mit irrelevanter
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