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Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)

Titel: Paperweight: Literarische Snacks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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nahelegen, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Britische Konsulate in den letzten Winkeln der hintersten Wälder der Welt jedoch werden täglich von Engländern berannt, die darum flehen, als Kuriere, Tote-Briefkästen-Leerer, Laternenanzünder, Schläfer, Maulwürfe oder Lockvögel eingesetzt zu werden, ohne Gehalt während der Probezeit, kein Job zu schmutzig, keineForderung zu obszön. Wir alle glauben, wir eignen uns zum
perfekten Spion
.
    Meine eigene Manie für verdeckte Operationen kann ich bis ins zwölfte Lebensjahr zurückverfolgen, als Straker-Nesbitt mir in der Doppelstunde Mathe einen Zettel zuschob. Es war ein glühendheißer Juni, das weiß ich noch. Ein Kindheitsjuni. Es war, als sei die einzige Wolke in ganz Gloucestershire der Kreidekumulus, der in dem durchs Klassenfenster hereinfallenden Lichtbalken auf und ab tanzte. Die Sonne schien auf Mr Dobsons Kahlkopf, während er quietschend Simultangleichungen an die Tafel schrieb. Ich dechiffrierte Straker-Nesbitts Zettel in meiner Kladde oder dem »Schmierheft«. Die Nachricht war klar. Unzweideutig. Knapp. Direkt. Schockierend in ihrer eklatanten Offensichtlichkeit. Es zerschmetterte mich wie ein Schmetterschmied. »Hearne ist in Martineau verknallt. Weitergeben.«
    Ich gab ihn nicht weiter. Den ganzen grausamen Juni über »bearbeitete« ich geduldig Straker-Nesbitt, bis er selber in Martineau verknallt war, bezahlte Jackson-Spragg dafür, so zu tun, als sei er in Martineau verknallt, und spielte höchstpersönlich Schiedsrichter in dem Kampf, bei dem Straker-Nesbitt Jackson-Spragg den Arm brach und sich so den Schulverweis einhandelte. Am selben Abend ging ich mit Martineau ins Bett.
    Das Virus des Spionierens hatte mein Blut infiziert, meine Sinne, meine Identität. Identität? Ich
hatte
keine Identität. Ich war ein Stegreif-Chamäleon, eine Zwiebel aus Lügen, jede neue Haut von tieferer Verschlagenheit. Die ursprüngliche Haut, die Wahrheit, war längst abgeschält und zurückgelassen worden. In den Assisen des täglichen Lebens konnte ich ebensogut den Advokaten Gottes wie des Teufels spielen: jedermanns Freund, aller Feind.
    In der zweiten Woche meines ersten Trimesters in Cambridgejedoch war auch ich bloß ein verängstigtes, narzißtisches junges Ding, das betete, daß der Buchhandlung Heffers die Ausgaben von
Sir Gawain and the Green Knight
noch nicht ausgegangen waren und daß sich bei MI5 oder dem KGB möglichst bald etwas tat. Ich besaß eine Teekanne, eine Elvis-Costello-Platte und eine Kaffeemühle. Für den Fall, daß ich irgendwo als links durchgehen mußte, trug ich Jeans – in jenen Punkjahren wenig angesagt. Hatte ich mich unters Establishment zu mischen, trug ich ein Tweedjackett und eine traditionelle Schulkrawatte. Mit Turnschuhen an den Füßen und Barbourjacke um die Schultern sah ich aus wie ein entscheidungsunfähiger Maskenballbesucher.
    Dr Sir Rannald Seward machte seinen Zug bei der »Teeparty gegen die Etatkürzungen« auf Scholar’s Lawn.
    »Sie sind also Fry?« sagte er, stach mit dem Zeigefinger auf den Tisch und führte den eroberten Krümel mit routinierter Gewandtheit zum Mund.
    »Das hat man mir jedenfalls gesagt«, antwortete ich mit einem halb bedauernden Lächeln, das nichts verriet und alles versprach.
    Er tätschelte mir das Gemächt. »Und was halten Sie von Nikaragua?«
    »Hab’ ich noch nicht kennengelernt. Ist der hier am College?«
    Vierzehn Tage später traf ich ihn wieder bei einem Benefizkonzert, mit früher Klassik zugunsten der SWAPO.
    »Ah, Fry. Ich wußte gar nicht, daß Sie Monteverdi mögen.«
    »Es ist ein wunderschönes Land, und die Amerikaner haben kein Recht, es zu destabilisieren«, sagte ich leidenschaftlich.
    »Kommen Sie morgen zum Tee auf mein Zimmer. Bringen Sie eine Katze mit.«
     
    Zu meiner Überraschung waren noch sieben weitere Ersttrimester zum Tee gekommen. Erregt durchfuhr es mich, daß wir alle gleich gekleidet waren und alle den ausweichenden, verlegenen Blick von Voyeuren an den Tag legten, die man beim Spähen durchs Loch in der Toilettenwand erwischt hat. Wir unterhielten uns kaum. Vor allem kam meine Katze mit der Schildkröte ebensowenig zurecht wie mit dem Dandy-Dinmont-Terrier, dem Meerschweinchen, der Weinbergschnecke, dem Shetlandpony, dem Seelöwen oder dem Merinoschaf, die die anderen mitgebracht hatten.
    »Gentlemen«, sagte Seward endlich, den Lärm übertönend. »Bringen Sie die Tiere ins Nebenzimmer, und kommen Sie wieder her. Ich habe Ihnen etwas

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