Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
Fernsehserien lägen Sie richtig, aber nicht bei
Raumschiff Enterprise
.
SCHNITT auf McCoy, der fragend dreinblickt und eine Braue hochzieht. GEGENSCHNITT zurück auf Captain Kirk, der immer noch aus dem Fenster guckt, einen fastschon schwermütigen Ausdruck im lieben Gesicht. Er verrät uns die Worte. Sie lauten einfach
»Bitte helft mir.«
MUSIK. ABSPANN.
Das ist Fernsehen.
Nichts gegen das Masturbieren
Eine Figur in Christopher Hamptons
Philanthropist
betonte mal: »Nichts gegen das Masturbieren. Masturbation ist das Fernsehen des denkenden Menschen.« Jetzt wissen wir also, womit denkende Menschen, die nicht fernsehen, sich so die Zeit vertreiben. Und wir wissen, wer Sie sind. An Sie wende ich mich diese Woche. Warum sehen Sie nicht fern? Sollten Sie nämlich, wissen Sie. Ich habe mich diese Woche der Aufgabe verschrieben, Ihnen einen Anfängerkurs Fernsehen angedeihen zu lassen, an dem teilzunehmen ich Ihnen dringend rate.
Vorab ein paar mahnende Worte. Ich kann nicht so tun, als wären mir die Gründe Ihrer Fernsehabstinenz bekannt, aber ich werde Sie hoffentlich davon überzeugen können, daß sie nicht stichhaltig sind. Wenn Sie keinen Farbfernseher haben, tut’s auch ein Schwarzweißgerät, und wenn Sie kein Schwarzweißgerät haben, dann gnade Ihnen Gott.
Ich glaube, Rilke – aber ich muß gestehen, daß ich viel zu faul und unbeleckt bin, um es in den richtigen Lexika nachzuschlagen (vielleicht geben Sie mir Bescheid) –, wenn es jedenfalls nicht Rilke war, dann war es Kraus (Karl, möchte ich meinen, nicht Alfredo), und wenn es keiner von beiden war, dann sagte jemand anders mal: »Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinsieht, so kann kein Apostel herausgucken.« So ist es auch mit dem Fernsehen. Wenn ein Affe fernsieht, sieht er gute Sendungen auf äffischeWeise und schlechte Sendungen auf äffische Weise. Ich weiß natürlich, daß keiner von Ihnen ein Affe ist, und bin sicher, daß Sie, wenn Sie dies durchgelesen und an meinem Kurs teilgenommen haben, das Fernsehen mit derselben heftigen, intelligenten Leidenschaft betreiben werden, mit der Sie bereits der Alternative des denkenden Menschen nachgehen.
In einer Hinsicht ist Fernsehen also wie ein Spiegel, in seiner aktiven Funktion ist es dagegen oft mit einem Fenster verglichen worden: ein Fenster zur Welt. In gewisser Weise ähnelt es dem alten Erkerfenster vom White’s Club, St James’s, in der Regency-Zeit. Elegant dasitzend und durch das gewellte Glas hinausschauend, konnte der gewitzte Beau alles herausfinden, was er wissen mußte: wer in der Stadt war, mit wem und warum. Die neuesten Moden stolzierten vor seinen Augen vorbei, das neueste Stadtgeflüster und der jüngste Gesellschaftsklatsch bestätigten sich unter der Prüfung seines ungläubig musternden Monokels. Die besonderen Eigenschaften dieses Fensters erlaubten einen ausgezeichneten Rundumblick. Aber da es nun einmal aus Glas war, war er nicht nur der Beobachter: Nach kurzer Zeit wurde er beobachtet. Denn das Fenster erlangte schnell Berühmtheit, und alle möglichen Leute, darunter so manche, die definitiv nicht zu den oberen Zehntausend gehörten, machten große Umwege, um zu sehen, wer heute wohl im Fenster säße und hinaussähe. Man konnte nicht mehr entscheiden, ob die Welt nun
aus
dem Fenster sah oder ob die Welt
ins
Fenster sah. Auf welcher Seite der Scheibe lag die Welt, die sich durch das Fenster so gut betrachten ließ? Oder war die Scheibe selbst die Welt? Auf beiden Seiten glaubte man, was man selbst betrachte, sei das eigentliche Schauspiel. Nur das Fenster wußte, was was war, und das behielt es für sich. Um die Verwirrung noch zu steigern, reflektierte das Glas aus einigenWinkeln das Bild des Betrachters, und aus anderen ergaben die Wellungen und die konvexe Wölbung der Scheibe ein so verzerrtes Bild, daß man es sowieso nicht für echt halten mochte.
Genauso steht es mit dem Fernsehen. Aus technischen Gründen kann die Welt nur das auf den Bildschirmen sehen, was die Fernsehkameras von der Welt gesehen haben. Welches Auge ist wirklicher, die Kamera, welche die Welt beobachtet, oder das Auge der Welt, das fernsieht? Es ist doch eine arge Haarspalterei. Und wie sagten die immer in dieser Fernsehsendung mit der versteckten Kamera? »Wir sehen zu, wenn Sie uns zusehen, wie wir Ihnen zusehen.« Genauso wahr ist natürlich, daß wir ihnen zusehen, wie sie uns zusehen, wenn wir ihnen zusehen. Sie können diese Sätze ein paarmal laut aufsagen, damit sie
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