Paperweight: Literarische Snacks (German Edition)
Fleisches Erbteil. Wenn Christen diese Geschichte akzeptieren, haben sie kein Recht, Gott mit dem Argument anzuklagen, »du weißt nicht, wie es ist, ein Mensch zu sein«, da die Passionsgeschichte ja gerade darin ihre Pointe hat, daß Gott ganz genau herausfand, wie das ist, und uns damit die Möglichkeit der Erlösung anbot. Ich finde, das ist eine großartige Geschichte: mitfühlend, profund, faszinierend und komplex. Daß ich zufällig nicht daran glaube, ist mein Problem, nichts, worauf ich stolz sein kann oder dessen ich mich schämen muß. Daß die Kirche, die daraus erwachsen ist, so eklatant versagt hat, sein Versprechen einzulösen, wirft keinen Schatten auf Jesus. Wie Cranmer sagte, alles, was Menschenverstand je ersann, wurde teilweise oder vollständig korrumpiert. Aber im Zentrum der ganzen Geschichte steht das bemerkenswerte Paradox göttlicher Menschlichkeit. Wenn Jesus keine echten Schmerzen hatte, als er am Kreuz hing, ist die gesamte Geschichte bedeutungslos. Und Gott könnte so
tun
, als litte er, dieser hier stattete uns augenscheinlich das höchste Kompliment ab,
wirklich
zu leiden.
Aber jetzt ist er gen Himmel aufgefahren, er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, und ist als Heiliger Geist um uns. Er sieht auf Grausamkeit herab, auf Barbarei, auf Mord, Qual und Tyrannei. Diese Dinge können ihm kein Vergnügen bereiten – ebensowenig wie seinen Kindern. Wie ist es also bloß möglich, kraft welches Ausmaßes an tragischer Unsicherheit und Zweifel konnte es dazu kommen, daß so viele seiner Anhänger und Kirchgänger mehr Aufhebens um einen Film machen, der ehrlich unternimmt, die vollste menschliche Dimension seines Lebens auf Erden zu untersuchen, als um den alltäglichenSchmerz und das Grauen um sie herum? Wenn Gott wirklich glauben sollte, daß ein Versuch, ihn auf der Leinwand als restlos menschliches Wesen zu porträtieren, eine größere Sünde ist als die Million anderer Ungerechtigkeiten, die unseren Globus überziehen, dann sitzen wir echt in der Patsche. Wenn er das nicht glaubt, dann frage ich mich, warum Christen immer nur dann dazu imstande sind, sich zu einer ernstzunehmenden Kraft zusammenzutun, wenn sie etwas zensieren und verdammen wollen?
Ich wiederhole, ich bin kein Christ, und wenn Journalisten mit den glanzvollen menschlichen Eigenschaften eines Paul Johnson diesen Film im Namen der »anderthalb Milliarden Christen« auf Erden attackieren, wie neulich in der ›Daily Mail‹, dann möchte ich von dieser Zahl bitte ausgenommen werden. Man kann auch behaupten, dies spreche mir das Recht ab, christliche Gefühle zu kommentieren. Das mag stimmen, aber wenn wir zu einer Theokratie zurückkehren wollen, die bestimmte künstlerische und literarische Werke verbietet, dann fordere ich von diesen Christen, sich über Ungerechtigkeit und Grausamkeit genausoviel Sorgen zu machen wie über Ketzerei. Das ist alles.
Traurig macht mich, genau zu wissen – jeder Schriftsteller oder Rundfunkkommentator wird mich verstehen –, daß dieser Artikel, den ich mich so harmlos wie nur möglich zu halten bemüht habe (Gott wird mir hoffentlich vergeben, daß ich wenig Neigung verspüre, mich dem niedlichen Brauch anzuschließen, sein Personalpronomen mit Großbuchstaben zu schreiben), zwangsläufig persönliche Briefe christlicher Gelehrter provozieren wird, mit einer Gehässigkeit und Wildheit, die jene, die nie öffentlich über Religion zu schreiben gewagt haben, nicht für möglich halten. Warum die Gefolgsleute des sanftmütigen und außergewöhnlichen Jesus Christus, der vor zweitausendJahren am Kreuz starb, so intolerant jenen gegenüber sein müssen, die unglücklicherweise nicht an seinen Glaubenssätzen hängen, werde ich wohl nie verstehen, aber wenn Martin Scorsese Gott gelästert hat, tut es mir leid, und ich bin sicher, Mr Scorsese tut es auch leid.
Ich will doch bloß diesen Film sehen. Wenn er Jesus verspottet, dann werde ich ihn verdammen. Wenn er Heuchler verspottet, werde ich ihn lobpreisen. Himmelhoch.
Bikes, Leder und After-shave
Ich weiß nicht, was in letzter Zeit mit mir geschehen ist – vielleicht eine Änderung im Hormonhaushalt –, aber es besteht kein Zweifel daran, daß ich mich im Lauf der letzten Monate bedeutend gewandelt habe. Ich bin ein anderer Mann geworden. Vielleicht ist die Jungfrau wieder einmal im fünften Haus von links aufgegangen, den Kiosk nicht mitgezählt. Die männlichen Wechseljahre können es wohl kaum sein, ich bin noch
Weitere Kostenlose Bücher