Papierkrieg
vorzubereiten. Das glückte zwar nicht ganz, aber fast. Ich warf
meinen CD-Player wieder an und erfreute mich an Bach, während ich genüsslich an
meinem Tee nippte und durch tiefes Inhalieren mein Wohlbefinden nachhaltig
steigerte.
Der F-Dur-Satz des Ersten Brandenburgischen Konzertes, der polyfon
die Streicher, Hörner und Holzbläser einander in Gruppen gegenüberstellt, um
sie in sechs verschiedenen Anläufen auf verschlungensten Wegen wieder in ein
Tutti zu führen, wogte in all seiner barocken Majestät durch meine kümmerliche
Wohnung. Ich erforschte die kleinen, obskuren rhythmischen und melodischen
Abwegigkeiten, die einem bei den ersten 20 Höranläufen gar nicht auffallen, und
genoss die logische Geschlossenheit und den musikalischen Geschmack des alten
Meisters. Bei aller konventionalen barocken Steife und Förmlichkeit seiner
Musik drang aus sämtlichen Phrasierungen und Punktierungen die Emotion in all
ihrer radikalen Individuierung. Nicht, dass die Strenge der Form der Expression
im Weg gestanden hätte, durch den Kontrast, den sie hervorrief, steigerte sie
den Ausdruck so, wie es der formloseren, weniger strengen Musik der
degenerierten Jahrhunderte danach nicht mehr möglich war. Bei aller Achtung vor
Mozart und Charlie Parker, so einer wie Bach war der Welt nicht mehr geschenkt
worden.
Vom pompösen Hoch des ersten Satzes stürzte ich ansatzlos in die
Molltrauer des zweiten. Das Adagio besteht im Wesentlichen aus dem weit
ausgeführten und reich verzierten Zwiegesang von Oboe und Solovioline. Die
Einzelstimmen werden schlussendlich in einen Chor zusammengeführt und das Ganze
in einem Continuo abgeschlossen, das herrlich klagende Seufzer in den
Oberstimmen bringt, voller Dissonanz. Ich wartete gerade auf die Schlussakkorde
der Orchestergruppen, als unerwartete Paukenschläge meinen Hörgenuss trübten.
Mir war bewusst, dass die Aufnahmen scheußlich waren, sowohl von der
Klangqualität als auch von Besetzung und Führung her gesehen, aber dieses
schreckliche Klopfen war mir vorher nie aufgefallen. Ich wunderte mich. Eine
Zeitlang. Bis das Stück vorbei war und mir klar wurde, dass es an der Tür
klopfte. Ich raffte mich auf und quälte mich aus dem Sessel. Meine Decke hatte
die Tendenz, mir von den Schultern zu rutschen, neben den anderen Problemen
machte das die Situation auch nicht einfacher. Irgendwie gelang es mir, mich
bis zur Tür durchzukämpfen, und ich öffnete.
Vor mir stand Laura. Sie kochte geradezu vor Wut, drängte mich zur
Seite und stürmte in meine Wohnung. Ich war ihr hilflos ausgeliefert und
tappste einfach hinterdrein. Angestrengt versuchte ich mich zu konzentrieren,
aber immer wieder entglitten mir die Gedanken und gerieten auf Abwege. Es
schien Stunden zu dauern, bis ich bei der Couch angelangt war und mich in meine
angewärmte Sitzkuhle fallen lassen konnte. Ich fror entsetzlich und zog die
Decke fester um die Schulter. Meine Zähne klapperten. Der Adrenalinstoß, den
mir Lauras Einritt verursacht hatte, schien sich letztendlich doch noch
auszuzahlen, ich wurde etwas klarer im Kopf. Ich konnte zwar immer noch nicht
ganz verstehen, was sie mir erzählte, während sie in der Wohnung auf und ab
schritt. Aber immerhin verstand ich einzelne Wörter und es war mir überhaupt
bewusst geworden, dass sie redete. Zuerst hatte ich das irgendwie gar nicht
mitgekriegt. Es schien darum zu gehen, dass ich nicht angerufen, ja, mich
überhaupt nicht gemeldet hatte. Dann kam ein Teil, der sich darum drehte, dass
sie nur gekommen sei, um mir mitzuteilen, dass unsere Beziehung, wenn man das
überhaupt so nennen könne, nun zu Ende sei. Wenn ich nur an billige Nutten
gewöhnt sei, sei das mein Problem und nicht ihres. Sie wolle anständig
behandelt werden. Zunehmend verstand ich mehr und mehr. Schließlich kam sie zum
Finale Grande.
»So, und zu alldem hast du nichts zu sagen, sitzt einfach da und
schaust mich an, als ob du überhaupt nicht verstehen würdest, worum es geht.
Ich hab’s schon gesagt und sag es wieder: Du bist ein Arsch.«
Ich starrte sie an. Sie starrte zurück,
unendlich böse. Auf eine unbestimmte Art und Weise jagte sie mir mehr Angst ein
als all die Boxer und Augenbraues und anderen rohen Gewaltmenschen, denen ich
in den letzten Tagen begegnet war.
»Also, wenn du nicht mit mir reden willst: Ich gehe.«
»Laura, warte«, ich wollte noch mehr sagen, aber ein Hustenanfall
kam mir zuvor. Der Husten war trocken und
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