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Papierkrieg

Titel: Papierkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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Zeitschriften auf Schlüsselworte durchforstete, die Stellen heraussuchte und
über zig Umwege die relevanten Passagen in den Monografien ausfindig machte.
    Viel zu schnell vergingen die Stunden, es ging auf 12, ich ordnete
noch kurz meine Notizen und brachte die Bücher zurück. Um eine Habilitation zu
verfassen, fehlte mir noch einiges, aber ich hatte die gröbsten Fakten und
wichtigsten Hypothesen zusammengebracht. Ich verabschiedete mich von Erich und
zog mich wieder an.
    Draußen war es immer noch unfreundlich und es schien nicht so, als
ob sich das Wetter zu meinen Lebzeiten ändern würde. Ich ging durch die Innere
Hofburg, unter der grünen Bronzekuppel hindurch, auf den Michaelermarkt hinaus.
    Diese Stelle kann ich nie passieren, ohne mich an ein Vorkommnis
aus meinem ersten Studienjahr zu erinnern. Wie heute auch, war ich aus der
Nationalbibliothek gekommen, als an jenem wunderschönen, glühendheißen
Sommertag ein junger Mann im Mozartkostüm, inklusive Schnallenschuhen,
Strümpfen, Spitzenmanschetten und gepuderter Perücke, Plakate einer
Kunstveranstaltung austeilte. Damals waren diese Mozarts noch kein gewöhnlicher
Alltagsgegenstand des Straßenbilds im ersten Bezirk. Der junge Mann mühte sich
also im Schweiße seines Angesichts ab, einen Hungerlohn zu verdienen, als eine
alte Dame seiner ansichtig wurde. Zweifellos war sie gerade zum allmittäglichen
Konditoreitreffen mit ihren Jahrgängerinnen unterwegs. In adrettes Altrosa
gekleidet, mit Brosche und Halstuch, die weißen Haare sorgfältig frisiert, kam
sie auf den jungen Mann zu. Einen Meter vor ihm erhob sie Spazierstock und
Stimme. Während sie wütend auf den jungen Mann einschlug, der weder wusste was,
noch warum es ihm geschah, brüllte sie mit ihrer zarten Damenstimme: »Sie
schwule Sau, dass Sie sich nicht schämen, verschwinden Sie zurück in das Loch,
aus dem Sie gekrochen sind!«
    Der junge Mann versuchte sich unter den gezielten
Hieben schüchtern zu rechtfertigen: »Aber, aber, so hören Sie doch …«
    »Schämen sollten Sie sich, Sie Ferkel, verkaufen Sie doch Ihre
Schweinereien woanders!«
    Die aufgebrachte Dame wurde schließlich von Passanten beruhigt und
der junge Mann von einem zufällig vorbeikommenden Arzt versorgt. Ob er aber in
der Nacht nicht doch an einer Hirnblutung verstorben ist, kann ich nicht sagen.
    Unter diesen Gedanken war ich an der
Albertina vorbeigekommen, hatte die Maysedergasse durchquert und war
schließlich in der Krugerstraße gelandet, wo sich das Tenmaya befindet. Als
zentraleuropäischer Beitrag zur Ernährungssituation steht direkt vor dem
Eingang des Lokals ein Pizza-Döner-Würstelstand, der dem hungrigen Wiener, der
von rohem Fisch und kaltem Reis nicht satt wird, die gewohnte Eitrige anbietet.
    Das Tenmaya ist klassisch japanisch eingerichtet, in cremigem Weiß
und satten Holztönen gehalten. Rechts vom Eingang ist das Teppan Yaki zu
finden, hinten die traditionellen Räume, wo man auf Reisstrohmatten sitzt, von den
Nachbarn durch Shojiwände getrennt. Links vorne befinden sich die kleinen
Tischchen für die schnelle Nudelsuppe und die Sushis.
    Ich suchte mir einen Platz, wie immer waren relativ viele Japaner
anwesend, und bestellte einen Tee. Neben der Qualität des Tees war auch die
Ästhetik des Steinguts hervorragend. Nur der japanische Sinn für Schönheit
vermag Plumpheit in Grazie zu verwandeln. Ich trank genussvoll in kleinen
Schlucken.
    Als Reichi schließlich eintraf, bestellten
wir. Zwei Teller Udon Nudeln und ein paar Sushis. Insbesondere auf den
Weißfisch hatten wir es abgesehen. Die butterweiche Konsistenz zerfließt auf
der Zunge, der federnde Rundkornreis füllt den Mund und es bleibt eine Ahnung
von Meer und Ruhe. Während des Essens kamen wir nicht viel zum Reden,
kulinarische Befriedigung war das Motto des Moments. Als wir zum Abschluss noch
einmal an der Teetasse nippten, schob ich Reichi das iPhone mitsamt dem
elektronischen Zubehör hinüber. Alles hatte in einem mit Seide gefütterten
Jutesäckchen Platz gefunden, das mir einmal eine wunderbare Frau geschenkt
hatte. Doch mit den Erinnerungen an Frauen ist es wie mit Mühlsteinen. Zur
rechten Zeit und am rechten Ort sind sie vollkommen. Wenn man sie aber zu lange
mit sich herumschleppt, ziehen sie einen unweigerlich hinunter. Und wer zu
lange in den Abgrund starrt, in den starrt der Abgrund zurück.
    »Was kriegst du?« Reichi fischte nach seinem
Portemonnaie.
    »Lass es,

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